Quellen innerer Kraft
weiten Herzen kann mehr nach außen strömen als aus einem engen. Daher ist es für mich nicht nur eine Frage der Psychohygiene und des guten Sozialklimas, sondern eine beständige spirituelle Aufgabe, sein eigenes Herz zu weiten. Das verlangt Wachsamkeit und Sensibilität für die verengenden Tendenzen, die ich auch in mir kenne. Sobald meine Überlegungen eng werden, versuche ich, in mich hinein zu hören und mir die Weite Jesu vorzustellen. Dann wird auch mein Herz weiter. Und die engherzigen Gedanken verfliegen.
Güte, griechisch chrestotes, ist die nächste Tugend. Das griechische Wort meint ursprünglich Redlichkeit und Tüchtigkeit. Doch zugleich kann es auch Güte, Freundlichkeit und Milde bedeuten. Diese Haltung wird in der Tradition oft dem Herrscher zugeschrieben. Er wird gelobt, wenn er milde und menschenfreundlich ist. Manchmal werfen stoische Philosophen Menschen, die diese Haltung verwirklichen, zuviel Nachgiebigkeit vor. Das deutsche Wort Milde kommt von mahlen. Der milde Mensch ist zermahlen und zerrieben worden in der Mühle des Lebens. Er hat schmerzlicheErfahrungen gemacht. Sie haben ihn milde gestimmt. Doch die Zartheit, Weichheit und Milde ist im griechischen Wort „chrestotes“ immer schon verbunden mit Tüchtigkeit und Tapferkeit. Der milde Mensch hat sich tapfer den Konflikten seines Lebens gestellt und sich davon aufbrechen lassen für die Haltung der Güte und Milde. Er zerfließt nicht in Milde, sondern er ist tüchtig. Er meistert aus der Haltung der Güte heraus sein Leben. Seine Güte ist eine Kraft, die Gutes schafft, auch gegenüber dem Widerstand negative Kräfte.
Gutsein ist die Haltung, die Paulus der Güte zur Seite stellt: die agathosyne. Sie bedeutet letztlich etwas Ähnliches. Das Wort meint den Menschen, der auf das Gute sinnt, der Gutes im Sinne hat, der gut vom andern denkt. Während chrestotes also mehr die Fähigkeit meint, milde und gut zu sein und zugleich das Gute zu schaffen, so bezeichnet agathosyne mehr den Menschen, der auf das Gute aus ist, der rechtschaffen lebt und in seiner Gesinnung gut ist. Beide Haltungen sind für uns Quellen, aus denen wir schöpfen können. Wer mit Milde und Güte auf sich und auf andere sieht, der lässt sich nicht von ihren Fehlern blockieren. Er setzt auf das Gute und glaubt daran, auch wenn er immer wieder enttäuscht wird. Und dieser Glaube an das Gute in jedem lockt letztlich auch das Gute im Menschen hervor. Er schafft das Gute, weil er das Gute in jedem Menschen erkennt.
Die Treue folgt in der Aufzählung der Früchte des Geistes bei Paulus der Güte und dem Gutsein: die pistis. Pistis kann neben Treue aber auch Glaube und Vertrauen bedeuten. Hier geht es nicht um den Glauben an Gott, sondern um das Zutrauen und Vertrauen, das mich bei allem, was ich tue, bestimmt: eben die Tugend der Treue, der Verlässlichkeit. Dasdeutsche Wort Treue kommt von Standfestigkeit. Wer aus der Tugend der Treue heraus handelt, der hat einen festen Stand. Und von diesem festen Stand aus wird ihn sein Tun nicht soviel Energie kosten wie einen, der sich ständig überlegt, was er tun soll und für wen er sich einsetzen soll. Der Standfeste hat es nicht nötig, um seinen Standpunkt immer wieder neu zu kämpfen oder ihn zu verteidigen. Er steht in sich. Er steht in seiner Mitte und vermag von ihr heraus zu handeln. Treue hat aber auch mit Bindung zu tun. Sie bindet mich an die Menschen, für die ich arbeite, und an meine Aufgabe, die ich treu erfülle. Treue gibt allem, was ich tue, etwas Selbstverständliches und Klares. Ich muss mich nicht immer neu entscheiden. Ich stehe zu mir und zu den Menschen, für die ich da bin. Und ich stehe zu der Aufgabe, in die mich Gott gestellt hat. Wer in Treue zu den Menschen und zu seiner Aufgabe steht, der spart viel Energie, die andere damit vergeuden, sich immer wieder neu überlegen zu müssen, ob sie nicht etwas anderes tun sollten. Treue bindet, aber sie befreit auch – und gibt der Seele dadurch neue Kraft.
Vertrauen ist, ähnlich wie die Treue, eine wichtige Quelle, aus der wir Kraft schöpfen. Wer ständig misstrauisch ist, der verbraucht viel Energie, um immer alles zu kontrollieren. Schon der hl. Benedikt fordert vom Abt, dass er nicht misstrauisch sein soll, weil er sonst nie zur Ruhe komme. Der misstrauische Mensch zerbricht sich den Kopf, was die andern wohl im Schilde führen und gegen ihn aushecken. Er verbraucht viel Energie, um sich gegen vermeintliche Absichten seiner Mitmenschen zu wehren.
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