Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
brandgefährlich, hier herinnen zu rauchen.«
Birmoser konnte seine Lider nicht öffnen. Stattdessen entsprang seinem Mund nur ein sehr leises »Was?«. Und als er nach einer gefühlten Ewigkeit schließlich in das scheinbar gleißende Licht seiner Werkstatt blicken konnte, erkannte er trotzdem nichts.
»Bleib liegen. Das, was ich dir zu sagen habe, kannst du auch mit Haschisch im Kopf verstehen.«
Birmoser wollte aufstehen, aber das THC nagelte ihn auf der Werkbank fest. Er kam nicht hoch.
»Du warst eigensinnig. Hast einen Fehler gemacht. Aber das wird dein letzter gewesen sein.«
Birmoser schüttelte leicht mit dem Kopf. Wo war sein Hund? Etwas jaulte. Aber außerhalb seines Sichtbereichs.
Der Mann lachte. Holz fiel um. Irgendwo raschelte etwas. Langsam gehorchten Birmosers Nerven wieder. Zentnerschwer schien sein Kopf zu sein. Er sah, dass sein Hund sich auf seinem Lager wand und an seinen Pfoten nagte. Sein Wimmern drang durch die Werkstatt. Ganz langsam verstand Birmoser. Die Pfoten des Tieres waren miteinander verleimt. Er wollte aufstehen, aber das Blut sackte in seine Knie, ließ ihn stolpern und in einen Haufen mit Spänen fallen. Er hörte, wie seine Bandsäge ansprang. Absurderweise dachte er, dass die Nachbarn morgen wieder über den nächtlichen Lärm klagen würden. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass heute kein Holz geschnitten werden würde.
Kapitel 5
Bad Wiessee, Dienstag, 19. 12., 08.45 Uhr
Der Schnee. Wie Quercher ihn hasste. Da war ihm der Regen noch lieber, den er in den Düsseldorfer Jahren fast genossen hatte. Kälte war ihm schon immer zuwider gewesen. Seit er mit seiner Schwester am Skilift warten musste. Wie alle hier hatte auch Maximilian Quercher das Skifahren lernen müssen. Bei dem Gedanken, sich in ein Tal zu stürzen, war ihm regelmäßig übel geworden. Aber Skifahren war hier nicht nur ein Hobby. Man musste es perfekt beherrschen, besser als all die Preußen, die im Winter auf Sommerreifen hierher kamen und sich in lächerlichen Skihosen und kreischbunten Jacken über die Landschaft hermachten wie Heuschrecken über die Ernte. Nur im Sommer hatte er sich wohlgefühlt. Da war der See sein Element. Er war gerne geschwommen, getaucht und mit sechzehn Jahren schon einmal eine ganze Nacht auf einer Badeinsel aus Holz inmitten des Sees geblieben. Doch seit diesem Tag vor drei Jahren mied er auch den See, schaute nicht einmal hin, wenn er, was selten genug vorkam, seine Mutter und Schwester besuchte. Auch für die Berge ringsherum, das Wandern, das Bergsteigen, den ganzen Rummel winters wie sommers hatte er nur ein verächtliches Schulterzucken übrig. Und ausgerechnet jetzt, kurz bevor er auf seine Insel ziehen wollte, musste er genau dorthin – in die Berge.
Quercher hatte im Foyer des Wellnesshotels in Rottach-Egern gewartet. Er saß in einem roten Plüschsessel, sah die weibliche Kundschaft der ansässigen Schönheitsfarm hereinstapfen und schmunzelte über Rottach und seine Einwohner. Wenn die Orte, die sich um den See wie Herpes um einen geöffneten Mund legten, Geschwister wären, dann hätte Rottach die Rolle der schönen, jungen, aber recht dummen Schwester eingenommen. Hier war mehr Sonne, mehr Reichtum, mehr ›Bling-Bling‹, wie Quercher fand. Bad Wiessee wirkte wie die praktische, aber verhärmte ältere Schwester, die keinen Mann mehr fand und auf Heiratsschwindler hereinfiel.
Dann kam Hannah. Nein, sie erschien. Einen Schritt hinter ihr watschelte Arzu – wie zur Bestätigung des Klischees, dass sich schöne Frauen immer mit unförmigen und weniger attraktiven Frauen zeigten, um mehr zu glänzen und zu wirken. Hannah trug eine enge weiße Skiweste mit einem hellbraunen Pelzbesatz. Darunter hatte sie einen Wollpullover angezogen, der wieder einmal mehr betonte als verhüllte. Ihre Füße steckten in grauen Ugg- Boots, ihr Kopf war von einer modischen Wollmütze bedeckt. Quercher wuchtete sich aus dem Sessel. Er hatte sich seine alten Bergstiefel, eine Jeans und eine mausgraue Daunenjacke angezogen.
Arzu, die angesichts ihres Zustands nicht auf den Berg gehen konnte, kommentierte es so trocken wie treffend: »Die Schöne und das Biest.«
Quercher lächelte nicht. »Wir gehen zum Fundort einer Leiche, nicht zum Après-Ski.«
Hannah reagierte nicht, sondern marschierte schnurstracks nach draußen, setzte sich auf den Beifahrersitz und widmete sich dort ihrem Smartphone.
Während sie nach Bad Wiessee fuhren, besprach Quercher mit Arzu die
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