Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
müssen. Selbst gegen den Widerstand der Angehörigen. Wenn der Mann aber ›nur‹ verhungert oder verdurstet wäre, dann hätte seine Enkelin ihren Großvater auch vom örtlichen Bestatter in die USA bringen lassen können – ohne Hilfe der Abteilung Staatsschutz des Bayerischen Landeskriminalamtes.
Er sah sich die Bilder des Fundortes an, von der Leiche, die Straßberger ihm überlassen hatte. Warum sollte alles so schnell gehen? Quercher brauchte vier Flaschen Bier, um endlich mit gekrümmten Beinen in der muffigen Frotteebettwäsche einzuschlafen.
Kapitel 4
Bad Wiessee, Dienstag, 19. 12., 00.11 Uhr
Altholz war eine Modeerscheinung, fand Schreiner Andreas Birmoser. Wie einst das bunte Parkett oder die Birkenpressplatte. Aber wurden Bauernhäuser oder Schuppen abgerissen, scharten sich neuerdings die Handwerker wie Hyänen um das herumliegende, bereits verarbeitete und meist auch behandelte Holz, das zuweilen mehr als hundert Jahre alt war. Denn die reichen Menschen liebten dieses nach Generationen riechende und vernarbte Holz in ihren Landhäusern. Nichts schmückte ein Millionenanwesen mehr als ein Tisch aus alter Fichte, die einmal eine Tenne geziert hatte.
Birmosers Werkstatt war im ehemaligen Lagerraum einer Zimmerei untergebracht. Über seinen Maschinen, dem Bandhobel, der Rundkreissäge und der langen Trockenholzkammer lagerte er auf Regalen die teuren Altholzbretter.
Der Auftrag eines Kunden, eines Unternehmers aus Düsseldorf, der sowohl seine Küche als auch sein Badezimmer mit Altholzmöbeln ausgestattet haben wollte, hatte Birmosers Bestände dezimiert. Und wie viele dieser Zugereisten aus dem Westen hatte er natürlich noch nicht gezahlt. Das war Birmosers Schicksal. Er ging mit seinen Arbeiten in Vorleistung. Aber die Kunden meinten, mit der Bezahlung erst bis zur zweiten Mahnung warten zu können. Seinem Vater war es nie so ergangen. Der hatte sich einmal sogar Zugang zu einem Kundenhaus verschafft und alles, was er vorher parkettiert und geschreinert hatte, herausgerissen. Das hatte schnell die Runde gemacht. Nie mehr hatte Birmoser senior daraufhin unter Zahlungsschwierigkeiten gelitten. Aber Andreas Birmoser war anders. Nicht nur, dass er nicht die große Statur seines Vaters geerbt hatte – Birmosers Kleinwüchsigkeit war im Ort immer schon Anlass für dumme Witze gewesen. Er hatte sich auch mit dem Alten vor Jahren zerstritten und dann diese kleine Werkstatt am Rande des Hochwalds gekauft. Schon die Finanzierung des Meisterbriefs hatte ihn zu viel gekostet. Aber die zwei alten Maschinen und die schlechte Zahlungsmoral seiner Kunden warfen ihn deutlich zurück. Sein Vater hatte es da mit seiner festen Kundschaft leichter gehabt. Birmoser junior musste auf Gelegenheitskundschaft hoffen. Ein Stuhl hier, ein Tisch dort. Und das Holz wurde immer teurer.
Birmoser sah zu seinem alten schwarzen Labrador, der friedlich auf einer Kiste eingerollt lag und schlief. Dann blickte er hinaus in die Schneeflocken, die im gelben Licht der Außenleuchte tanzten. Die Berge ringsherum waren im Schwarz der Nacht verschwunden. Alles war still. Er liebte diese Zeit, die ›stade Zeit‹, wie sie sie hier nannten. Das Jahr lag in seinen letzten Zügen. Das neue würde ein besseres werden. Er hatte vorgesorgt. Aus der Anlage dröhnte ein gemächlicher Massive-Attack-Triphop. Birmoser mochte diese Klubmusik. Sie verkörperte nicht Wiessee, diese schlimme Mischung aus Florian Silbereisen und Andrea Berg, wie er fand. Sondern die Welt da draußen. Die, die er nie würde sehen können. Wie mit einer Eisenfessel war er an diesen Ort gekettet.
Er griff in seine Spezialkiste, nahm etwas Harz und hielt es unter ein Feuerzeug. Schon der Duft, Weihrauch nicht unähnlich, versetzte ihn in Euphorie. Als genug erhitzte Stücke in den Tabak gefallen waren, drehte er sich die Zigarette mit dem breiten Ende und schwang sich auf die Hobelbank. Er legte sich auf die weichen Späne und sah nach oben durch das Dachfenster in den weißen Himmel. Das THC strömte durch seine Lunge, erreichte nach ein paar Minuten seinen Kopf, der nun langsam hin und her schwang, einen Tick langsamer als der Takt der Bass Drum. Seine linke Hand griff einen Hobel, umfasste ihn, streichelte das Werkzeug zärtlich. Und seine Pupillen begannen hinter den Lidern zu tanzen. Andreas Birmoser schwamm in einem Meer aus weichen Flocken. Er sah das Grün des Meeres, wand sich in der Wärme des Wassers. Er war in Thailand.
»Servus, Andi,
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