Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
auf. Und verschleiern nicht, verstehst du?«
Querchers Stimme war eine Spur zu laut. Der Bergführer drehte sich zu ihnen um, sah Straßberger fragend an. Der nickte beschwichtigend.
Stille senkte sich zwischen die beiden, die Quercher mit einer dienstlichen Frage unterbrach. »Wem gehört die Hütte hier eigentlich?«
»Dem Brunner Alfred.«
»Wer ist das?«, fragte Quercher, während er den Rest des Tees in den Schnee goss, wo er eine kleine blassrote Lache hinterließ.
»Ein Immobilienmakler aus München. Er hat einen Zweitwohnsitz in Rottach. Der Großvater war ein hohes Tier bei der Bundesvermögensanstalt. Stangassinger, der Bürgermeister, hat hier oben ebenfalls ein Stück Wald und auch ein Jagdrevier.«
»Nur deswegen?«, fragte Quercher mit einem sarkastischen Unterton.
Straßberger wusste, worauf er anspielte. Früher hatten die betuchten Jäger ihre Hütten auch als Platz für Auszeiten mit der Geliebten genutzt.
Aber Straßberger schüttelte den Kopf. »Nicht der Stangassinger. Der will hoch hinaus in die Politik. Er sieht sich schon im Landtag oder noch mehr und hat eine Bilderbuchfamilie. Nein, hier treffen sich nur er und seine Spezl.«
Quercher nickte. »Und der Birmoser junior geht hier hoch, fällt in einem Wald mit Tausenden von Bäumen ausgerechnet jenen, der eine alte Leiche verbirgt. Und wenige Tage später knallt sein Kopf vor Müdigkeit in ein Sägeblatt. Das ist in deinen Augen nicht komisch? Entweder hast du zu viel Verkehrserziehung in der Schule gegeben oder du weißt etwas.«
Straßberger ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich glaube nicht, Max, dass das hier der richtige Platz für solche Spinnereien ist. Im Übrigen bist du nicht der Supercop, der immer alles besser weiß und vor allem …«, er macht eine Pause, ehe er leise sagte, »… alles darf.«
Quercher wollte ihm eine passende Antwort geben. Doch dann hörte er ein leises Singen, einem Klagelied nicht unähnlich. Hannah konnte um ihren Großvater trauern, dachte Quercher bitter. Manchmal, nachts, wenn die Dämonen wieder hervorkrochen, dann sah er Bilder seines ertrinkenden Vaters. Der dort starb, wo sein Sohn früher so gerne war. Quercher blickte auf das Rinnsal, das seit über sechzig Jahren diesen Körper durchflossen hatte, bis zufällig jemand hier einen Baum fällte.
»Wie war es bei deiner Mutter?«, fragte Straßberger.
Quercher reagierte nicht.
»Max, ich habe dich etwas gefragt.«
»Es geht ihr gut. Vielen Dank, dass du sie angerufen hast. Aber ich würde gerne selbst entscheiden, wann ich meine Familie anrufe. Oder gehört das mittlerweile neben Radarfallen und Kleinkriminalität auch zu deinem Aufgabengebiet?«
Quercher war selbst über seine Bosheit überrascht. Aber er hasste es, wenn andere für ihn entschieden.
»Das weiß ich. Ich meinte …«
Kleine Schneeplatten rutschten herunter, fielen ins Wasser. Quercher sah nach oben. Hannah lief auf sie zu. Ihre Augen waren verquollen. Sie schien geweint zu haben.
Quercher reichte ihr stumm die Hand. »Meine Anteilnahme. Es tut mir sehr leid.«
Sie wollte etwas erwidern, nickte aber nur. »Wie kommt er jetzt hinunter?«, fragte sie.
Quercher verstand nicht. »Wer?«
»Mein Großvater!«
»Ach ja, dumm von mir. Der Bestatter ist bereits auf dem Weg und wird gleich hier sein. Zusammen mit dem Bergführer wird er ihn in einen Rettungssack legen und ihn dann mit Skiern zum Unimog hinunterbringen. Unten im Tal wird er eingesargt, und wenn wir es schaffen, schon heute Abend mit Ihnen zum Flughafen gebracht. Morgen Abend wären Sie dann wieder in den USA.«
»Gut, danke, Herr Quercher. Das ist sehr … sehr zuvorkommend.« Sie schien seltsam verändert zu sein.
Schweigend stapften sie zurück. Unterwegs trafen sie den Bestatter, der ihnen nur kurz zuwinkte und sich weiter japsend auf den Weg nach oben machte. Mehrfach rutschte Hannah aus, fiel auf ihren Hintern. Quercher half ihr, so gut er konnte.
Beide waren erschöpft und müde, als sie eine Stunde später den Unimog erreichten. Sie warteten auf den Bergführer und den Bestatter. Straßberger stapfte zu Fuß weiter, da er, wie er Quercher brummelnd sagte, »nicht mehr auf die Leiche warten« wollte. Er gab ihnen den Schlüssel des Unimogs und schritt in die Schneewand, die sich vor ihm auftat. In der nächsten Sekunde war er nicht mehr zu sehen. Quercher und Hannah saßen stumm im Fahrerhaus. Der Schnee hatte binnen weniger Minuten die Fenster zugeschneit. Es sah aus, als säßen sie in
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