Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
wo du ihn gelassen hast.‹«
Die beiden Männer saßen ungläubig da.
»Anders verhält es sich mit folgendem Sachverhalt«, fuhr Dr. Handlanger fort. »Stangassinger klaut das Fahrrad aus deinem Schuppen, verkauft es dann. Damit ist es Hehlerware und der neue Eigentümer muss es dir zurückgeben. Und wenn jemand ein Grundstück aus unrechtmäßig erworbenem Geld kauft, dann kann das auch nicht rechtmäßig sein. Wenn du es erbst, trägst du also die Verantwortung für den vorhergehenden Erwerb – mit allen Konsequenzen. Also, hat jemand mit illegalen Geldern etwas anderes erworben, wird der neue Besitz unter Umständen rückwirkend verkauft und dem Geschädigten zufallen.« Sie bemerkte nicht, wie Schlickenrieder schwitzte. »Aber vielfach sind bestimmte Delikte auch verjährt.«
Stangassinger grinste böse. »So wird es hier auch sein.«
Dr. Handlanger lächelte ihn kühl an. Sie erhob sich, strich über ihren Rock, genoss für eine Sekunde den Blick der Männer und übersah den anschließenden Hohn in ihren Gesichtern. Nachdem sich Schlickenrieder und Stangassinger verabschiedet hatten, rief sie den Wanderführer an. Durch das Fenster sah sie, dass sich ihre Mandanten im Hof der Kanzlei heftig stritten. Sie sprühte sich etwas Parfum auf ihren mit kleinen Warzen bedeckten Hals und griff nach ihrem Autoschlüssel. Sie hatte Zeit. Der Wanderführer musste noch eine Leiche bergen.
Kapitel 9
Rottach-Egern, Dienstag, 19. 12., 15.23 Uhr
Sie saß in einem Sessel und ließ sich die Nägel von einer blondierten Kosmetikerin lackieren. Quercher wirkte in dieser pastellfarbenen Manikürehölle wie eine zerquetschte Fliege an einem Panoramafenster. Die blonde Russin sah missbilligend auf seine Bergschuhe, von deren Sohle Schneebrocken fielen und auf den Terrakottafliesen kleine Lachen hinterließen. Quercher spürte den bösen Blick und wollte auch so schnell wie möglich wieder gehen. Aber vorher musste er Hannahs Genehmigung bekommen, die Leiche erneut untersuchen zu lassen. Und da konnte er einen außergewöhnlichen Starrsinn entwickeln.
»Hören Sie, Herr Quercher, Ihre Schuhtheorie ist ja ganz interessant. Aber der DNA-Vergleich ist eindeutig. Morgen sitze ich mit meinem Großvater in einem Flugzeug.« Hannah machte eine Pause. »Sie dürfen mir bei einem frühen Dinner Gesellschaft leisten.«
Die Russin hatte ihr auch die buschigen Augenbrauen gezupft. Gerötete Haut zeugte von dem Haarmassaker.
»Frau Kürten, mit der Leiche stimmt etwas nicht. Sie wissen es. Ich weiß es. Muss ich erst einen richterlichen Beschluss erwirken? Dann bleibt der Leichnam nämlich hier. Sie können natürlich trotzdem fahren.«
Etwas in ihrem Gesicht gefiel ihm nicht. Es wurde hart und böse. Sie scheuchte die russische Kosmetikerin von ihren Fingern weg und beugte sich auf dem Sessel nach vorn.
»Fühlen Sie sich beruflich nicht genug gefordert? Wollen Sie jetzt den Ermittler spielen? Ich bin über Ihren Karriereknick sehr wohl informiert.«
Quercher hatte genug von diesen Zickereien. Aber er musste die Nerven behalten. Sein Instinkt sagte ihm, dass hier etwas nicht stimmte. Er konnte nur nicht sagen, was es war. Aber immer wieder traten bei dieser scheinbar harmlosen Überführung einer Leiche Ungereimtheiten auf.
Nachdem sie vom Fundort der Leiche zurückgekehrt waren, hatte er Hannah ins Hotel gebracht und war zurück zu Arzu in die Dienstelle gefahren. Dort hatte er Pollinger angerufen.
»Ich bleibe noch hier. Irgendetwas stimmt mit dem Toten nicht.«
»Was denn? Oder zieht dich deine Heimat so an? Geh ins Bräustüberl in Tegernsee, trink für mich ein Helles mit und komm heim nach München.«
»Ferdi, ich habe die Schuhe der Leiche gesehen. Die Sohle ist pressvulkanisiert. Mein Vater war Schuhmacher. Ich sehe so was. Diese Art der Fertigung ist erst ab Mitte der Fünfziger benutzt worden. Und ich gehe nicht davon aus, dass irgendein Wanderer in den vergangenen sechzig Jahren die Leiche entdeckt und ihr aus reinem Mitleid mit einem Soldaten des Zweiten Weltkriegs die Schuhe angezogen hat.«
»Und wenn doch? Wie ich hörte, hat der DNA-Test eine hohe genetische Übereinstimmung zwischen deiner Freundin aus den USA und der Leiche ergeben.«
»Hat Arzu mit dir gesprochen?«
»Nein, aber ich kann ihre Anfragen verfolgen und bin als euer Chef auch an der Antwort interessiert. Und dieser Rechtsmediziner aus Miesbach hat keine Mordmerkmale entdeckt. Selbst wenn es nicht der Herr Großvater der Dame wäre –
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