Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Heilingbrunner. Er war es gewesen, der Quercher in seiner Jugend den ersten Kontakt mit Haschisch verschafft hatte. Gemeinsam hatten sie an der Mangfall, einem kleinen Fluss nördlich von hier, gesessen und sich in andere Sphären geraucht. Jetzt sagte keiner der beiden etwas. Aber sie mussten beide an ihre heimlichen Treffen denken und schmunzelten.
Quercher hatte den Hund in der Dienststelle bei Arzu gelassen. Er fürchtete, dass der quirlige Schweißhund am Fundort Schwierigkeiten bereiten könnte, wenn er die Leiche beschnuppern oder gar ankratzen würde. Obwohl Lumpi dieser Ausflug sicherlich gefallen hätte. Schnee sagte ihr eher zu als Regen. Mit Wasser konnte sie generell nichts anfangen. Gut, dass Lumpi nicht ahnen konnte, dass sie bald auf einer Insel würde leben müssen.
»Wir können nur einen kurzen Weg fahren. Der weitaus längere Teil ist zu Fuß zurückzulegen. Ich habe die Bergschuhe meiner Frau dabei. Sie dürften Ihre Größe haben. Mit denen da«, Straßberger zeigte auf die Ugg- Boots von Hannah, »schaffen Sie keine hundert Meter.«
Widerwillig zog Hannah sich die Bergschuhe an. In der Nacht hatte es durchgeschneit. Es waren weitere dreißig Zentimeter hinzugekommen. An den Hängen der Berge rings um das Tal lagen jetzt stellenweise bis zu anderthalb Meter Neuschnee. Jeder Tritt abseits der gespurten Linie, die der Bergführer zog, bedeutete ein Versinken bis zur Hüfte.
»Gehen Sie genau in seinen Spuren, auch hier lösen sich Schneebretter«, mahnte Straßberger noch, als sie am Unimog standen und hinauf in den Wald sahen.
Doch seine Warnung war vergeblich. Hannah machte den Fehler, den alle begehen, die erstmalig in die Berge gingen. Sie lief los. Statt Schritt für Schritt das eigene Tempo zu finden, schoss sie an Quercher und Straßberger vorbei und wollte auf einer Höhe mit dem Bergführer gehen. Der hatte naturgemäß eine bessere Kondition. Und schon nach einer Viertelstunde lehnte Hannah japsend an einem Buchenstamm. Quercher ging schweigend an ihr vorbei. Ihm machte der Aufstieg nichts aus. Sein Sportprogramm war immens und so keuchte er nicht einmal. Aber er schwitzte. Das Wasser lief ihm den Rücken hinunter und er hatte nichts zum Wechseln dabei.
»Sie hätten ruhig sagen können, dass es so steil ist«, zischte Hannah von hinten.
Quercher ließ den Satz im Wald verklingen, ehe er den Bergführer ansah und sagte: »Wer jammert, hat noch Kraft.«
Nach einer Stunde stoppte Straßberger. Der Bergführer würde weiter spuren, sodass sie sich für eine Pause Zeit nehmen konnten. Die durchwachte Nacht hatte den alten Polizisten sichtlich mitgenommen. Er zog eine Thermoskanne aus seinem Rucksack und reichte Hannah eine Käse-Salami-Semmel. Sie trank den Tee, wies aber die Semmel dankend ab. Straßberger sah zu Quercher, der aber auch nur den Kopf schüttelte. Für einen kurzen Moment riss der Himmel auf und sie konnten von ihrer Position aus den Tegernsee sehen.
Quercher hatte Straßberger noch vor der Polizeistation signalisiert, dass sie Hannah den Tod des Schreiners besser verschweigen sollten. Deshalb übte sich Straßberger jetzt in leichter Konversation. »Heuer hat es früh mit dem Schnee begonnen«, erklärte er mampfend. »In Kreuth hinten sprengen sie schon kontrolliert Lawinen herunter. Und der See ist schon seit einer Woche zugefroren. Das ist äußerst selten.« Er lächelte. »Als Jugendliche sind wir mit dem Mofa rübergefahren zum Bräustüberl, haben eine Limo getrunken und sind wieder zurück. Manchmal hat man auch ein Auge zugedrückt und uns eine Halbe ausgeschenkt. Bist du auch rüber, Max? Ach nein, schon gut, ja.«
Straßberger war es peinlich. Er hatte vergessen, dass Max’ Vater irgendwo da unten lag und der See kein gutes Gesprächsthema war. Schweigend gingen sie weiter.
Die Jagdhütte lag unterhalb des Weges. Sie unterschied sich deutlich von Almhütten, die am Rand eines Waldes in der Nähe der Almwiesen errichtet wurden. Diese Hütte hier stand mitten in einem dichten Tannenwald. Obwohl es taghell war, drang nur wenig Licht durch das Nadelwerk der umstehenden Bäume. Die Hütte besaß eine Veranda, deren Brüstung gerade noch den Schnee bremsen konnte. Das Holzhaus war verhältnismäßig groß und maß, so schätzte Quercher, zwanzig Meter in der Länge und sieben in der Breite. Hinter der Hütte befand sich ein Plumpsklo, kitschig mit einem Herzen in der Tür versehen. Links von der Hütte war der Schnee weit heruntergetreten, sodass Quercher,
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