Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
und rot geschwollen waren. Sie musste einst eine schöne Frau gewesen sein. Heute war sie nur nervös und alt.
»Jetzt sind alle tot. Ich habe gestern noch mit ihm telefoniert. Das war gegen zwanzig Uhr.« Tränen liefen still über ihre Wangen. Kein Schluchzen oder Unterbrechen. Sie weinte und sprach. »Das war kein Unfall!«
Obwohl er selbst diesen Verdacht hatte, sagte sich Quercher, dass er vorsichtig sein musste. Er kannte das. Menschen wollten sich, speziell bei solch ungewöhnlichen Unfällen, nicht mit den Tatsachen abfinden. Sie suchten nach Gründen, wo keine waren.
»Ich weiß auch, wer dahintersteckt.«
Jetzt wurde Quercher hellhörig. Christl Birmoser neigte, so schätzte er sie ein, nicht zu Hysterie.
»Trinken Sie Ihren Kaffee nicht?«, fragte sie fast vorwurfsvoll, und sofort schlürfte Quercher den Bohnenkaffee, der schwarz wie die allmählich hereinbrechende Nacht war.
Er räusperte sich. »Haben Sie dem Kollegen unten von der Dienststelle Ihren Verdacht mitgeteilt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Straßberger und seinen Leuten? Ich bitte Sie. Sämtliche Polizisten einschließlich des Chefs haben von meinem Mann all ihre Schreinerarbeiten gemacht bekommen. Und mein Sohn war bei denen so beliebt wie ein Ekzem.«
Quercher schaute sie fragend an.
Jetzt sah sie ihm direkt in die Augen. »Tun Sie doch nicht so. Sie wissen, wovon ich rede. Angefangen hat es damit, dass sie ihn beim Eisstockschießen rausgeworfen haben. Weil er zu langsam war.«
Quercher machte einen erstaunten Gesichtsausdruck. »Was meinen Sie?«
»Mein Sohn spielte mit dem Schlickenrieder und dem Brunner in einer Mannschaft. Er hat das sozusagen von seinem Vater übernommen. In der Hoffnung, dass da ein paar Aufträge abfallen. Er selbst hasste ja das Eisstockschießen. Und da haben sie ihn rausgeworfen, weil er angeblich Drogen genommen habe. Als ob die nicht dauernd saufen würden. Fast jeden Tag üben sie morgens droben am Eisplatz. Der Schlickenrieder und der Brunner. Die müssen Sie mal fragen.«
Sie weinte leise. Quercher ließ die Stille zu. Ein paar Minuten vergingen.
Dann nahm er das Gespräch wieder auf: »Ich fand es komisch, dass ausgerechnet Ihr Sohn an der Hütte die Leiche entdeckte.«
Christl Birmoser goss Quercher aus einer verkalkten Glaskanne nach. »Das war auch kein Zufall. Die Hütte ist ja nicht irgendeine.«
»Ach?«
»Wissen Sie, mein Mann war ja deutlich älter als ich, als wir heirateten. Ich bin vom Ministerpräsidenten Strauß damals aus der DDR herausgekauft worden, kam hier als Zimmermädchen an und verliebte mich in den Adi. Seine Freunde lernte ich erst später kennen.«
Sie hatte ›Freunde‹ deutlich betont. Er sollte nachfragen und er tat ihr den Gefallen. »Welche Freunde?«
Christl Birmoser lehnte sich zurück, griff in den Herrgottswinkel, wo diverse gerahmte Bilder unter einem sterbenden Jesus am Kreuz standen. Das Foto in ihrer Hand war klein und in Farbe. Zwei Männer saßen vor einer Hütte und tranken Bier. Einer stand dahinter und schaute etwas grimmig. Das Bild musste im Sommer aufgenommen worden sein. Die Männer trugen Lederhosen und vor ihnen auf dem Tisch lagen Flinten.
»Das ist die Jagdhütte unterhalb der Falzeralm, nicht wahr?«, fragte Quercher.
Sie nickte und deutete auf die Männer. »Das da vorn ist der alte Brunner, daneben der alte Schlickenrieder, und das hinter ihnen ist mein Mann.«
Quercher sah es sich genau an. »Und wer hat das Foto gemacht?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Kein Ahnung. Ein altes Bild. Ohne die beiden, also den Brunner und Schlickenrieder senior, wäre mein Mann nichts gewesen. Sie gaben ihm Aufträge.«
Quercher trank einen Schluck Kaffee, um nicht unhöflich zu sein. Aber die Plörre brannte schon jetzt in seinem Magen.
»Worauf wollen Sie hinaus, Frau Birmoser?«
Sie lehnte sich zurück und umfasste ihre Hände. Es musste fürchterlich jucken. Aber sie war diszipliniert. Nicht einmal hatte sie sich, seit Quercher an ihrem Tisch saß, gekratzt. Er konnte sich vorstellen, welche Willenskraft sie dafür aufbringen musste.
»Wussten Sie, dass der alte Schlickenrieder gar nicht von hier stammt? Er ist wie ich aus Sachsen. Aber man hat es ihm nie angehört. Er hat es immer sauber versteckt. Tat bei allen, die ins Tal kamen, als ob er Ludwig Thomas Enkel sei. Mich hat er nicht angesehen. Ich habe ihn mal angemahnt, weil eine Rechnung von ihm nicht rechtzeitig beglichen wurde. Er kam zu mir ins Büro, da drüben, wo ich auch die
Weitere Kostenlose Bücher