Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
was sehr unwahrscheinlich ist –, lass sie ihn doch mitnehmen. Hauptsache, der kommt da oben weg.«
»Du hast ein seltsames Verständnis von unserer Arbeit. Da stimmt was nicht. Was ist, wenn Hannah Kürten mehr weiß, als sie uns sagt? Die kommt kurz vor Weihnachten für achtundvierzig Stunden nach Deutschland, um die Überreste ihres Opas zu bergen. Was ist, wenn es sich dabei um das Opfer einer Straftat handelt? Mord verjährt nicht. Das weißt du genau.«
»Hat das aber nicht eher einen, sagen wir mal, archäologischen Wert? Du müsstest die wahre Identität der Leiche herausfinden. Willst du dir das antun? Bald bist du auf deiner Insel.«
»Ferdi, bitte. Was ist denn mit dir los? Wo ist dein Instinkt? Warum schalten wir nicht die Kripo in Miesbach ein? Warum drückst du so auf die Tube?«
»Wenn der Tod wartet, lernst du Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Und deine Wachsleiche ist unwichtig. Heute ist Dienstag. Am Freitag bin ich weg. Komm heim.«
»Moment, warte! Da ist noch etwas.« Quercher hatte sich die Information für den Schluss aufgehoben. »Der Schreiner, der den Baum gefällt hat, ist tot. Mitten in der Nacht ist er in seine Säge gefallen. Hältst du das für einen Zufall?«
Pollinger schnaufte. »Moment, du glaubst, ein Schreiner geht mitten im Winter in die Berge, um einen Baum zu fällen, und will damit jemandem etwas sagen? Im einundzwanzigsten Jahrhundert gibt es dafür mittlerweile bequemere Wege. Das ist doch alles ein Hirngespinst. Hilf der Dame, ihren Opa zum Münchner Flughafen zu transportieren, und komm nach Hause. Das, und nur das, ist dein Job.«
Nach diesem Telefonat wusste Quercher, dass er ermitteln musste. Auch wenn er keinen Auftrag dazu hatte. Und dass er wenig Zeit hatte. Ihm blieben vier Stunden, bis Hannah Kürten nach München aufbrechen wollte. Die Leiche befand sich im Kühlraum des Bestatters. Schon vor seinem Telefonat mit Pollinger hatte er Arzu über seinen Verdacht informiert und sie gebeten, mehr über den Rechtsmediziner zu erfahren, der die Leiche als Erster begutachtet hatte. Ihre Recherche ließ ihn nun erst recht stutzig werden.
»Das ist ein Arzt aus Gmund. Er ist Facharzt für irgendwas. Aber nicht Pathologie. Die Kollegen von der Kripo in Miesbach wissen immer noch nichts. Wie versprochen, war ich sehr dezent. Straßberger fragt mich immer, wann wir hier abzischen. Willkommen ist man hier nicht. Ich habe mir übrigens mal proaktiv, wie es sich für eine gute Polizistin mit Karrierewunsch gehört, die Rufnummern vom nunmehr toten Birmoser angesehen.«
Arzu hatte ein eher liberales Verhältnis zu Daten jedweder Art. Ihre ausgeprägte Begabung für alles Virtuelle hatte sie eine Zeit lang in die Cyberspace-Abteilung des LKA gebracht. Dann war es ihr aber inmitten dieser weltabgewandten Menschen zu langweilig geworden. »Zu viele Chips und zu wenig Welt da draußen«, hatte sie Pollinger erklärt, der sie dankbar wieder in seine Abteilung aufgenommen hatte.
»Und jetzt rate mal, wen er vier Mal in den Tagen vor dem Baumfällen und einmal danach angerufen hat?«, fragte Arzu triumphierend.
»Weiß nicht. Bob den Baumeister?«
Arzu stöhnte. »Deine Freundinnen sind einfach zu jung, wenn du Bob den Baumeister kennst. Nein, Brunner, dem die Jagdhütte gehört. Und der Wald drum herum ist im Besitz des Bürgermeisters.«
»Ich weiß, ich weiß.« Quercher dachte nach. »Also doch, die Sache riecht. Sag Pollinger noch nichts.«
Mit einem unguten Gefühl war er dann nach Rottach zu Hannah gefahren. Jetzt trat er hinaus aus dem Eingang des Wellnesshotels und dachte in der Kälte nach.
Der Portier sah lachend auf den Hund, der um Querchers Beine spielte und laut kläffend um Aufmerksamkeit bettelte. Der junge Mann kniete sich hin und kraulte Lumpi. »Ist ein Schweißhund, oder?«
Quercher nickte.
Nach anfänglichem Zögern ließ sich Lumpi auf ein Spiel mit dem Mann ein. Der warf Schneebälle, und tatsächlich lief die Hundedame ihnen hinterher.
»Ist der jagdlich ausgebildet?« Der Portier war kräftig und seine Wangen waren knallrot. Die Kälte schien ihm nichts auszumachen. Unter seinem schwarzen Zylinder lugten feuerrote Haare hervor.
»Nein, er hat einen leichten Überbiss. Der Züchter wollte ihn totschlagen. Dann hat ihn meine Mutter genommen und mir geschenkt.«
Lumpi stand bereits wieder vor dem Portier und guckte ihn erwartungsvoll an. Fachmännisch griff der Portier vorn an die Schnauze, hob die Lefzen und nickte. »Na ja, dankbar wird
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