Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
liebte schiefe Bilder. Sie hinterließen zuerst Ratlosigkeit und danach unklare Angst. Er machte eine Pause und beobachtete, wie von Stock ungeduldig wurde. Erst als dessen kleiner Finger unmerklich wackelte und die Lider zuckten, fuhr Pollinger fort.
»Am Tegernsee wurde der tote Körper eines Soldaten gefunden. Wir behandeln die Sache äußerst diskret. Kein Hinweis an die Presse. Das ist auch ratsam. Denn noch glauben alle Ermittler, dass es sich bei der Person um einen entflohenen Kriegsgefangenen handelt.«
Wieder eine Pause.
Jetzt reagierte von Stock. »Und? Wer ist er wirklich?«
Pollinger lächelte maliziös. »War, Dr. von Stock. Er ist ja tot. Der, den sie da am See gefunden haben, spielte in den Fünfzigerjahren eine große Rolle, nicht nur im Immobiliengeschäft. Sie sind noch zu jung, um das alles richtig einordnen zu können, aber es gab nach dem Krieg eine Riege ehemaliger SS- und Wehrmachtsoffiziere, die sich hier in Bayern ein feines Netzwerk aufgebaut hatten. Geduldet von der damaligen Staatsregierung und gefördert vom Bundesnachrichtendienst. Sie wissen ja: Der erste Chef des BND war Reinhard Gehlen. Er war im Dritten Reich Chef der sogenannten Abteilung ›Fremde Heere Ost‹. Nach dem Krieg kooperierte er dann mit den Amis, die ihn schließlich zum Chef des BND aufstiegen ließen. Natürlich gruppierte der Mann Heerscharen von alten Kameraden um sich. Ob im Osten oder im Nahen Osten – die Nazis hatten, anders als in den alten US-Filmen gezeigt wird, einen hervorragenden Dienst. Und diese Expertise, dieses Netzwerk sollte nicht beschädigt werden. Der Tegernsee bot sich als Rückzugsort für viele altgediente Kameraden an. Das alles geschah unter Mitwisserschaft sowohl der Regierung als auch des Dienstes.«
Von Stock konnte es nicht glauben. Die kostbare Zeit, die er sich morgens reservierte, wurde ihm von diesem Fossil mit Geschichten aus dem Kambrium verdorben. Am liebsten hätte er ihm »Ihre braune Scheiße interessiert mich nicht« an den Kopf geworfen. Aber Pollinger war für Überraschungen gut.
»Sind das nicht eher Dinge für Historiker? Die meisten der damals Beteiligten dürften heute nicht mehr leben, nicht wahr?«
Pollinger nickte. »Sie haben recht. Und ich würde auch nicht hier sitzen und Ihnen Ihre kostbare Zeit stehlen, wenn der derzeitige Ministerpräsident nicht der Sohn einer der beteiligten Personen wäre.«
Jetzt verstand von Stock.
Würde die Suppe hochkochen, wäre der Mann an Bayerns Spitze mit der braunen Vergangenheit seines Vaters konfrontiert. Zudem besaß dessen Familie, soweit von Stock sich erinnern konnte, ein Ferienhaus in Rottach-Egern. Der MP schlief immer dort, wenn es zur Klausur nach Wildbad Kreuth ging.
»Mir liegt sehr viel daran, dass wir im Frühstadium einer solch heiklen Situation die Fäden in der Hand behalten«, betonte Pollinger fast servil. »Einer meiner Männer recherchiert vor Ort.«
Der Referent, der soeben mit Abscheu auf den Weihnachtsmarkt vor seinem Fenster geblickt hatte, drehte sich zu ihm um. »Wer ist es? Kenne ich ihn?«
Pollinger nickte. »Sicher, es ist Kriminalrat Maximilian Quercher.«
Von Stock fluchte innerlich. Ausgerechnet Quercher! Gegen seinen Rat hatte man ihn nach der Junktim-Sache wieder nach Bayern geholt. Quercher hatte in dieser Sache auf eigene Faust, gegen alle Widerstände aus Politik und Justiz ermittelt, gegen eine gigantische … Aber das war jetzt unwichtig.
»Ziehen Sie ihn ab. Wieso ist der überhaupt da? Der sollte doch ruhiggestellt werden. Das haben Sie uns versprochen. Sie selbst!«
Pollinger nickte gequält. »Er sollte auf Wunsch der Staatsregierung nur eine Angehörige aus den USA zum See fahren, die Formalitäten vor Ort klären und zurück nach München kommen. Jetzt aber ermittelt er. Zudem wird sein direkter Vorgesetzter morgen früh ein Restaurant, an dem Quercher stiller Teilhaber ist, hochgehen lassen. Das wird für Quercher so aussehen, als ob fremde und dunkle Mächte ihn unter Druck setzen. Wie beim Junktim-Fall. Und er wird wieder zu einer Zeitbombe, verstehen Sie?«
Von Stock wischte sich über das hagere, fast feminine Gesicht. »Gut, ich kann eine bereits genehmigte Durchsuchung mit richterlichem Beschluss und allem Pipapo absagen. Wie können wir Ihren Mann vom Tegernsee zurückholen? Was schlagen Sie vor?«
Pollinger lächelte. »Quercher hat genug. Ich habe ihm eine Frühpensionierung in Aussicht gestellt, mit einer für alle Seiten fairen, leichten und
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