Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
wieder entnehmen. Das ging mit der Zeit jedem dieser Kleinstunternehmer auf die Gesundheit.
Quercher sah sich auf den Werkbänken um. Rechnungen von Holzlieferanten, Kataloge diverser Werkzeug- und Schraubenhersteller, dazwischen immer wieder der Akku eines Bohrers und unter einem Fenster eine Hundedecke, die Lumpi sofort beschnupperte. Quercher wusste nicht genau, wonach er suchte. Es war ein Mythos aus schlechten TV-Krimis, dass er ausgerechnet hier den entscheidenden Beweis finden könnte, der die Theorie vom Unfall widerlegen könnte.
Woran hatte Birmoser zuletzt gearbeitet?
Auf einem der Arbeitstische lag eine große Platte, auf die kleine Holzschindeln genagelt waren. Als Bayer erkannte Quercher das sofort. Schindeln waren hier als Dachverkleidung sehr beliebt. Die Platte entsprach in etwa der Größe eines Daches für Brennholzhäuschen oder Müllhäuserl. Quercher wusste aus seiner Kindheit, dass diese Arbeit meist von Zimmerleuten gemacht wurde. Schreiner schraubten lieber – sie hassten das Einschlagen von Nägeln.
Querchers rudimentäres Handwerksverständnis reichte aus, um zu wissen, wie öde so eine Arbeit sein konnte. Aber Birmoser schien das egal gewesen zu sein. Der Hammer lag noch auf der Platte, der Karton mit den Nägeln aber war umgestürzt und die Nägel waren überall verstreut. Die Schindeln mussten nicht geschnitten werden, dachte Quercher. Man konnte sie sich in großen Paketen anliefern lassen. Einige davon lagen neben dem Tisch, teils angebrochen, teils noch verschlossen.
Warum hatte Andi Birmoser dann die große Formatkreissäge angeworfen? Was hatte er sägen wollen?
Quercher ging hinüber in den anderen Raum. Auf dem Boden sah er das getrocknete Blut. Lumpi schnupperte daran, ehe er sie wegzog, was sie nur widerwillig erduldete.
Quercher versuchte, sich zu konzentrieren. Was war passiert? Birmoser ist noch lange in der Werkstatt. Draußen wird es Nacht. Vielleicht ist seine Laune schlecht, weil er ahnt, dass die Baumfällaktion Ärger bedeutet. Er schindelt. Dann geht er, warum auch immer, in den Raum mit den Maschinen. Nach Mitternacht wirft er die Säge an. Quercher stellte sich an die Maschine, bedeutete seinem Hund, sitzen zu bleiben, und beugte sich über das rot gefärbte Blatt. Birmoser startet die Maschine . Quercher stellte sich den Lärm und den Dreck vor. Birmoser beugt sich nach vorn. Er ist müde. Aus seinem Hemd fällt seine Kette. Vielleicht bemerkt er das noch, aber seine Hand erwischt den Schmuck nicht mehr, bevor er sich in der laufenden Maschine verfängt. Das Sägeblatt reißt sich mit seinen Zähnen blitzschnell in den Kopf, Birmoser schreit. Dann wird er bewusstlos, die Säge zertrennt die Halsschlagader und fährt tiefer in den Körper. Er stirbt …
Quercher stand sekundenlang vor der Maschine, sah zu der erwartungsvoll blickenden Lumpi, um dann wieder in den anderen Raum zu schreiten. Da fehlte doch was. Er sah es. Es war vor ihm. Natürlich – der Hund. Der Hund vom Birmoser. Wo war der, als der Unfall passierte? So ein Tier winselte doch, kam angelaufen, wenn dem Herrchen etwas passierte. Quercher sah auf seine Uhr. Konnte er Birmosers Mutter schon anrufen? Es war egal. Er hatte die Telefonnummer nicht auf seinem Handy gespeichert und musste sich wieder über die Auskunft verbinden lassen.
»Birmoser«, vernahm er nach langem Klingeln aus dem Hörer.
»Grüß Gott, Frau Birmoser. Hier ist der Quercher Max, nicht böse sein, dass ich Sie so früh schon störe.«
»Nein, kein Problem. Ich kann sowieso nicht schlafen. Bin schon lange wach.«
»Sagen Sie, Frau Birmoser. Der Andi, der hatte doch einen Hund?«
»Ja, der Bobby, das arme Vieh. Der ist noch beim Tierarzt. Der Bobby ist doch beim Andi in der Werkstatt im Leim herumgelaufen. Die Polizei hat ihn gefunden. Gejault hat er, weil er sich nicht bewegen konnte. Der Straßberger war so nett und hat ihn zum Tierarzt gebracht. Warum?«
»Ach, nur so. Fiel mir ein, als ich an der Werkstatt vorbeikam. Wann ist denn eigentlich die Beerdigung?«
Er hört ein leises Schluchzen. Die Frage war unklug gewesen.
»Der Polizist, also der meinte, wenn die den Andi heute freigeben, dann noch vor Weihnachten. Wollen Sie kommen?«
»Ja, wenn ich es einrichten kann«, log Quercher und verabschiedete sich schnell. Er würde noch einmal mit dem Kollegen Straßberger reden müssen.
Kapitel 22
Bad Wiessee, Mittwoch, 20. 12., 08.28 Uhr
Der Schnee knirschte unter den Reifen seines Mercedes’, als Quercher
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