Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
gestaffelten Reduzierung seiner Bezüge. Er glaubt, dass nur ich diese Sache durchboxen kann. Aber wir beide wissen, dass der Behördenlauf wesentlich schwieriger ist. Wenn Sie mir da Unterstützung zusagen könnten?«
Von Stock verstand. Unliebsame Quertreiber mit einem leicht höheren Satz als üblich aus dem Dienst zu entlassen, war ein probates Mittel, damit diese Nervensägen nicht später ihre Memoiren schrieben, wenn sie sich erst einmal an das schöne Frührentnerdasein gewöhnt hatten.
Er nickte. »Haben Sie heute noch in der Hauspost, vom obersten Dienstherren unterzeichnet.«
»Da wäre noch etwas.«
Von Stock hörte bereits die ersten Kollegen draußen auf den Fluren lachen und herumlaufen, er vernahm missmutig das laute Geräusch des Kaffeeautomaten, und vor ihm lagen noch mindestens drei Akten, die der Herr Minister heute lesen musste.
»Was denn?«
»Ich brauche Ihren guten Draht zur juristischen Fakultät der Universität. Ich biete einen Praxistest an. Aber schon morgen.«
Von Stock kniff ein Auge zusammen. Dann, als er verstand, nickte er erneut und schrieb Pollinger einen Namen und eine Nummer auf.
»Das ist mein Doktorvater. Der hilft Ihnen, wenn Sie meinen Namen nennen. Ich rufe da gleich an und kündige Sie an.«
Pollinger erhob sich, reichte seine fleischige Hand über den Tisch und verabschiedete sich. Draußen las er die Notiz und schmunzelte. Das hätte er nicht getan, wenn er gewusst hätte, wen von Stock wirklich anrief.
Kapitel 21
Bad Wiessee, Mittwoch, 20. 12., 06.11 Uhr
Quercher hatte still neben seiner Mutter gesessen. Und als ihre Hand wieder zitterte, hatte er auf den Boden geblickt. Er konnte sie nicht berühren. Dann hatte er sich die Jacke angezogen und war hinaus in den Schnee gegangen. Er reckte seinen Kopf, ließ die Flocken in seine Augen fallen, kniff sie zu und lächelte kurz. Als er sie wieder öffnete, sah er eine alte Frau, die sich mühsam durch den Schnee arbeitete.
Er wollte Hannah und Arzu noch ein wenig Schlaf gönnen. Er selbst würde die Zeit für einen kurzen Spaziergang nutzen und Lumpi die Gelegenheit geben, ihrem Lauftrieb nachzugeben. Anschließend musste er seinen Mercedes holen, der noch an der Nordseite des Sees stand.
Auf den Straßen kamen ihm nur alte Menschen entgegen. Keine jungen Leute, geschweige denn Kinder. Er wusste von seiner Schwester, dass das Tal überaltert war. Auch wenn er der Idylle hier nicht viel abgewinnen konnte, so wünschte er dem Tal, dass es nicht zu einem riesigen Altersheim verkommen würde.
Ein Schneepflug kam die Straße herauf. Die Kehre schrappte über den freigelegten Teerboden und erzeugte ein knirschendes Geräusch. Quercher hielt Lumpi am Halsband fest, ließ den Unimog passieren und wechselte die Straßenseite. Er war nicht länger als eine Viertelstunde in der Dunkelheit dieses Wintermorgens gegangen, als er an der Birmoser-Schreinerei vorbeikam. Niemand war zu sehen. Er rutschte über den Hof zum Eingang der Werkstatt. Die Tür war versiegelt. Quercher ging um das Haus und fand tatsächlich einen Kellereingang, der nicht verschlossen war. Es roch nach Schimmel und Nässe, als er die Tür geöffnet hatte und Lumpi hineinschlüpfen ließ. Die Hündin schnupperte sofort in allen Ecken, ohne an dem Gestank Anstoß zu nehmen. Quercher kannte sich hier nicht aus, fand aber eine Treppe, die ins Erdgeschoss führte. Vor ihm lag die Werkstatt.
Sie war in zwei Räume aufgeteilt. Linker Hand standen große Tische, an denen Birmoser zu seinen Lebzeiten kleinere Arbeiten verrichtet oder größere Möbel abgestellt hatte, um sie zu bearbeiten. Im rechts davon liegenden Raum standen die großen Maschinen. Dort war der Unfall passiert. Auf den ersten Blick wirkten das herumliegende Holz, die Späne auf dem Boden, einzelne Möbelstücke und die Vielzahl an Werkzeugen wie ein einziges Chaos. Quercher aber wusste, dass alles so sein musste. Schreiner hatten in diesen Zeiten einen ständigen Durchlauf an Holz. Das war in den letzten Jahren so teuer geworden, dass sich eine Lagerung immer lohnte. Aber den meisten fehlte Stauraum. Und so nutzten die kleinen Schreinereien jeden Meter Stellfläche aus, um ihre langen Bretter aus Fichte, Kirsche, Esche und Eiche trocken zu lagern, bis ein Kunde ein Möbelstück aus einem bestimmten Holz wünschte. Wer wie Birmoser allein arbeitete, hatte dann doppelte Arbeit. Er musste die bis zu vier Meter langen Bretter ohne Hilfe auf die Hobelmaschine wuchten, dort durchziehen und sie
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