Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Semmel und schwieg. Quercher spürte langsam die Kälte. Er musste heute um halb vier noch Elli Schlickenrieder treffen. Morgen wollte er nach München zurückfahren. Also ging er aufs Ganze.
»Dr. Rieger, wenige Meter von einer Jagdhütte wurde kürzlich die Leiche eines SS-Soldaten gefunden. In seiner Uniform. Das Grundstück gehörte zum tatsächlichen Todeszeitpunkt Ihnen. Wer war der Mann? Was haben Sie damit zu tun? Warum sind Ihre drei Deppen von der Tankstelle plötzlich so nervös?«
Rieger schnalzte mit der Zunge, zog sich so Fleischstücke aus den Zähnen und spuckte sie aus.
»Dann erzähle ich Ihnen die Geschichte der Leiche«, begann er und griff in seine Jacke. Er heftete ein Gerät, kaum größer als ein Würfel, an Querchers Jacke. »Ein Geschenk meiner chinesischen Geschäftspartner. Es schluckt, wenn Sie so wollen, alle unliebsamen Mithörer und Aufnahmen. Wir sind jetzt ganz allein.«
Quercher fühlte sich sofort sichtlich unwohl mit dieser Information.
»1948 kamen drei ehemalige verdiente Frontsoldaten hier ins Tal. Hans Kürten war einer von ihnen. Nur hieß er anders. Er übernahm diesen Namen von einem verstorbenen Mithäftling in einem Kriegsgefangenenlager. Gemeinsam mit den anderen wollte er Grundstücke kaufen. Dieser Personenkreis, der – wie Sie ja eben so feinsinnig anmerkten – eine größere Rolle während des Dritten Reichs spielte, war zwar finanziell in der Lage, sich diese Grundstücke zu kaufen. Aber die Besatzungsmacht ließ das nicht zu. Kürten aber war sauber, wenn Sie so wollen, unbelastet. Er kaufte die Grundstücke – mit dem Geld dieser Personen. Er machte einen guten Schnitt dabei. Und seinen Verdienst investierte er wiederum in mehrere deutsche Konzerne. Eines Tages war dann Schluss mit den Geschäften. Kürten tauchte nicht mehr auf. Bis man ihn in der Nähe der Jagdhütte fand.« Rieger goss sich aus der Thermoskanne etwas Tee in eine Tasse und trank.
»Warum starb er? Und warum haben Sie das der Polizei nicht mitgeteilt? Ich meine, das hätte ja ganz andere Erkenntnisse ergeben können. Denn noch geht die Kriminalpolizei Miesbach davon aus, dass Herr Kürten im April 1945 starb. Sie aber wissen, dass er noch das Wirtschaftswunder dieses Landes erleben durfte. In trauter Einigkeit mit seinen ehemaligen Kameraden. Bis er dann irgendwann von der Bildfläche verschwand. Warum? Wieso sollte ich Ihnen das alles glauben?«
»Wonach suchen Sie denn, Herr Quercher? Der Mann ist tot. Eine Obduktion würde zeigen, dass er eines natürlichen Todes starb. Theoretisch reicht ein Anruf in München bei der Staatskanzlei und Sie fahren wie ein geprügelter Hund nach Hause. Aber Ihr Chef, der Ferdi und ich, wir kennen uns lange. Und wir beide schätzen Querköpfe, die sich nicht verbiegen lassen.«
Quercher wusste, dass er einen Köder legen musste. Und jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Er sah dem Dampf des heißen Tees in Riegers Tasse nach, ehe er die Bomben platzen ließ. »Ich habe oben an der Hütte Teile eines Tagebuchs gefunden. Sie und Ihre Experten aus der Nazizeit hängen mit drin. Sie wissen das. Ich weiß das. Und jetzt erzählen Sie mir keine Märchen.«
Rieger wirkte für einen kleinen Augenblick wie unter Strom, ehe er sich wieder hinter einer Fassade aus arroganter Überlegenheit und Jovialität zurückzog. »Das ist doch alles Vergangenheit. Etwas für die Historiker. Für die, die Ihnen das alles erzählt haben. Aber doch nicht mehr für die heutige Zeit.«
Quercher nickte. »Na ja, es wäre unangenehm. Und Ihr Name, also der richtige, würde beschmutzt. Aber Sie haben recht. Heute kräht kein Hahn mehr danach. Doch selbst, wenn es niemanden mehr kümmert, mit welchem Geld die Grundstückskäufe des Herrn Kürten finanziert worden sind, bleiben Fragen: Der Herr kauft die Grundstücke, überlässt sie Ihren Freunden und verschwindet dann? Einfach so? Und es dürfte sehr wohl noch von Interesse sein, dass heute die Söhne und Enkel dieser Herren auf diesen Grundstücken Rehakliniken und Wellnesshotels bauen. Quasi ein ›Kraft durch Freude 2.0‹.«
Rieger blieb immer noch ruhig. »Wissen Sie, Herr Quercher, das ist alles längst bereinigt. Glauben Sie mir. Sie reiten ein totes Pferd. Ich mache Ihnen ein Angebot. Es ist Weihnachten. Ich will Sie loswerden. Sie wollen mich loswerden. Wie Sie gemerkt haben dürften, bin ich ein Freund der genauen Recherche.« Er kramte einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche und studierte ihn. »Sie wollen aus dem
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