Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Dienst ausscheiden. Das kann ich verstehen. Sie benötigen dafür die Unterschrift des Ministerpräsidenten. Und auch wenn Ferdinand Pollinger Ihnen das versprochen hat, so haben Sie die Unterschrift noch nicht. Schlicht, weil unser umtriebiger Landeschef das Gesuch noch gar nicht gesehen hat.«
Wieder suchte Rieger in seinem Rucksack nach etwas. Es war eine Mappe, die in Folie eingeschweißt war. Er zog sie heraus. Quercher erkannte sein Gesuch auf vorzeitigen Ruhestand.
»Das ist Ihr Ticket zum Ausstieg in die Sonne«, fuhr Rieger fort. »Ich habe veranlasst, dass es der Herr Ministerpräsident noch heute unterzeichnet. In Tegernsee wartet ein Kurier, der es sofort in die Staatskanzlei bringt. Heute Abend werden Sie es in Ihrem Briefkasten haben.«
Quercher wurde sauer. Sollte Pollinger ihn so hintergangen haben?
»Sie haben ein Häuschen auf dieser kleinen Insel vor Sizilien. Auf einem Konto der Banca Agricola Popolare di Ragusa liegt ein Startkapital in Höhe von fünfhunderttausend Euro. Das ist die Nummer des Kontos.« Rieger tippte mit dem Finger auf einen Zettel, der ebenfalls in der Folie lag. »Bitte sehr. Nur Sie und ich wissen davon. Ihr vermeintlicher Freund Pollinger hat Sie benutzt. Er hat mit mir eine alte Rechnung offen. Und jetzt, kurz bevor er am Krebs stirbt, will er sich rächen. Sie sind sozusagen sein Krieger. Aber Sie werden fallen. Und ihm ist es auf dem Sterbebett egal.«
Quercher brauchte Zeit, um nachzudenken. War so viel Verrat möglich? Rieger pokerte hoch. Es war ihm offenbar viel wert, dass er aus dem Tal verschwand. Zeit, die Taktik zu ändern.
»Nehmen wir an, ich würde Ihr Angebot annehmen. Wer garantiert mir, dass ich nicht erpresst werden würde? Was für Sicherheiten habe ich?«
Rieger schloss die Augen. »Wie ich hörte, ist in Bad Wiessee vor Kurzem ein junger Schreiner zu nah an seine Säge gekommen. Schrecklicher Unfall, nicht wahr?«
Quercher stocherte mit seinem Skistock im Schnee, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Riegers Worte elektrisierten.
»Ich empfehle Ihnen, dem Elektriker Schlickenrieder daheim einen Besuch abzustatten.«
Quercher wusste immer noch nicht, was er sagen sollte. Warum lieferte Rieger seinen eigenen Mann, zu dem er nachweislich Kontakt hatte, ans Messer? Es wurde immer bunter.
»Sie sollten noch etwas wissen, Maximilian. Ihre Freundin aus den USA ist nicht das, was sie vorgibt zu sein. Da Sie ja so neugierig sind, was damals geschah, erzähle ich Ihnen, warum Herr Kürten wirklich hier war. Er war mit besagtem Geld zu einem wohlhabenden Bürger im Nachkriegsdeutschland geworden. Und da wollte er irgendwann einmal seine Vergangenheit abstreifen wie einen alten stinkenden Bademantel. Denn sein Sohn war mittlerweile sehr erfolgreich. Dumm nur, dass das Geld, mit dem diese Familie sich an die Spitze der Reichtumspyramide geschossen hatte, aus eher illegalen Quellen stammte. Und als der alte Kürten mal wieder mit den alten Freunden zusammensaß, man trank und sich an alte Fronterlebnisse erinnerte, da …«
Rieger kippte einfach nach hinten und stieß dabei die Thermoskanne um. Quercher wandte sich zu ihm. Riegers Mund stand noch offen, als würde er nur eine kurze Pause beim Reden einlegen. Aber das war nicht der Fall. Etwas hatte seine linke Gesichtshälfte weggerissen. Teile seines Kiefers lagen neben seiner Wurstsemmel.
Als Quercher das realisierte, warf er sich sofort auf den Boden. Etwas spritzte neben ihm ins Eis. Jetzt erst verstand er. Sie wurden beschossen. Genauer, er wurde beschossen. Denn Rieger schien schon bei seinen alten Kameraden zu sein. Er musste ins gefrorene Schilf robben, in die Deckung. Mit einem Ruck erhob sich Quercher, warf sich nach vorn und rutschte auf seinen glatten Langlaufschuhen aus. Sein Glück. Eine Kugel zischte nur wenige Zentimeter über ihm hinweg und traf die Thermoskanne, die mit einem Knall zerbarst. Er sprang erneut, landete unsanft auf dem gefrorenen Boden und zog seine Waffe aus dem Holster an seiner Hose. Wo war der Schütze? Die Wunde an Riegers Kopf ließ auf Süden schließen. Der Schütze musste sich weit entfernt positioniert haben. Bis zum Ufer waren es bestimmt dreihundert Meter. Nur so ließ sich erklären, dass er noch nicht getroffen worden war. Aber mit seiner Pistole konnte er da gar nichts ausrichten.
Quercher bewegte sich nicht. Er musste weiter in das Schilf hinein. Dann konnte er auf die vom Schützen abgewandte Seite der Insel und von dort über das Eis nach
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