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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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eine Abtreibung, und trotzdem hat sie dem Vater des Kindes gegenüber behauptet, dass sie das Baby behalten will?«
    »Genau.«
    »Warum? Weil sie Angst hatte, dass er sie umstimmen könnte?«
    Mirja Libolski schüttelte ihre blonde Mähne, die leicht gelbstichig wirkte und den Schluss zuließ, dass ihre Trägerin in Wahrheit dunkelhaarig war. Ziemlich dunkelhaarig sogar. »Nee«, sagte sie. »Das ganz bestimmt nicht.«
    »Sondern?«
    »Ich glaube, sie wollte ihm Angst einjagen.«
    »Weil sie wusste, dass es dem Betreffenden auf keinen Fall recht wäre, wenn sie das Kind behält?«
    »Ja, so ähnlich.«
    »Was für eine tolle Strategie«, entfuhr es Winnie Heller, und in Gedanken notierte sie: Angela Lukosch hat den Mann, von dem sie schwanger war, provoziert. Aber zu was?
    »Ich habe ihr ja auch davon abgeraten«, bekannte Mirja Libolski kleinlaut. »Sie … Immerhin hatte sie auch so schon genug Stress.«
    »Stress?« Winnie Heller horchte auf. »Was für Stress?«
    »Ach …« Mirja Libolski sah aus, als fürchte sie, mit den spärlichen Kommentaren, zu denen sie sich bislang hatte hinreißen lassen, schon zu viel über sich und ihre verstorbene Freundin verraten zu haben. »Das hatte wahrscheinlich gar nichts zu bedeuten, aber in der letzten Zeit hat Angel solche Briefe gekriegt.
    Sie wissen schon, irgendwelche Beschimpfungen von wegen Schlampe und so was alles. Und dann hat jemand die Reifen von ihrem Motorroller zerstochen.«
    »Klingt ein bisschen nach Racheakt, oder?«, fragte Winnie Heller, der die Bemerkung des Mädchens durchaus gelegen kam, um elegant zu einem anderen Punkt überleiten zu können, der ihr am Herzen lag.
    »Mhm«, machte Mirja Libolski. »Möglich.«
    »Gab es denn jemanden, der einen Grund gehabt hätte, sich an Ihrer Freundin rächen zu wollen?«, fragte Winnie Heller, und um erst gar keine Zweifel an ihrem Informationsstand aufkommen zu lassen, fügte sie hinzu: »Ich meine, nach allem, was man so hört, soll Angela ja selbst auch ganz gut ausgeteilt haben.« Sie fixierte die Augen ihres Gegenübers. »Genau wie Sie …«
    »Spaß«, winkte das Mädchen ab. »So was ist doch normal, oder?«
    »Sie meinen so was wie das mit Miranda Kerr?«
    »Aber das waren doch bloß irgendwelche blöden Zeichnungen«, verteidigte sich Mirja Libolski mit einer Heftigkeit, die zumindest einen Ansatz von schlechtem Gewissen verriet.
    Winnie Heller fuhr sich entnervt durch die Haare. »Ist Ihnen eigentlich klar, dass es gerade solche dummen Nichtigkeiten sind, die Menschen dazu bringen, auszurasten und alles über den Haufen zu schießen?«
    Mirja Libolski riss ihre Katzenaugen auf. »Sie meinen …?«
    »Ich meine, dass man bei allem, was man tut, auch daran denken sollte, welche Folgen eine Sache haben kann, wenn man damit an den Falschen gerät«, entgegnete Winnie Heller lapidar. Sie kannte diese Sorte Mädchen zur Genüge. Die Mirja Libolskis dieser Welt bildeten sich ein, den Erfolg gepachtet zu haben, weil es ihnen aus irgendeinem unerfindlichen Grund, der wenig bis nichts mit ihrer Persönlichkeit zu tun hatte, gelungen war, ein paar Leuten in ihrem Umfeld weiszumachen, dass sie das Maß aller Dinge seien. Dieser Irrglaube, gepaart mit ein paar gründlich missverstandenen Erfolgen beim anderen Geschlecht, machte sie überheblich und grausam. Und leider waren sie schlichtweg zu dumm, um zu sehen, dass sie spätestens am Tag nach ihrer Abiturfeier wieder zu dem werden würden, was sie in Wirklichkeit waren: unbedeutende kleine Flittchen.
    Winnie Heller schenkte dem Mädchen auf der anderen Seite des Tischs ein spöttisches Lächeln, doch zu ihrer Überraschung fing Mirja Libolski urplötzlich an zu weinen. Die runden Schultern unter dem engen T-Shirt zuckten, während ganze Sturzbäche von Tränen über Mirja Libolskis hohe Wangenknochen liefen und Schritt für Schritt das aufwendig aufgetragene Make-up ruinierten, bis nur noch ein hilfloses, schluchzendes Kind übrig blieb. Ein Kind, das Winnie Heller gegen ihren Willen rührte. Aber nicht nur das. Zu ihrer eigenen Überraschung empfand sie auch Wut. Genauso muss ich ausgesehen haben, als ich wie ein zerlumpter Clown vor Lübkes Laube aufgelaufen bin, dachte sie. Genauso dämlich. Und genauso schutzlos. Dabei bin ich das, was man gemeinhin eine gestandene Frau nennt, oder etwa nicht?
    Sie seufzte und reichte Mirja Libolski, die noch immer hemmungslos vor sich hin schniefte, ein Taschentuch über den Tisch. »Na? Geht’s

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