Querschläger
sie tausendmal lieber mit Miranda Kerr gesprochen, jenem Mädchen, das von Angela Lukosch schikaniert und schließlich Ohrenzeugin ihres Todes geworden war. Aber wie immer, wenn es drauf ankam, hatte sich Verhoeven auf seine Rolle als Alphatier des Rudels besonnen und diesen vielversprechenden Klumpen Fleisch für sich selbst reklamiert. Winnie Heller schüttelte ärgerlich den Kopf. Und für sie war ein Häuflein Knochen in Form dieses katzenäugigen Möchtegernmodels übrig geblieben, das sich selbst als »Angels beste Freundin« bezeichnete und permanent an seinen viel zu langen Fingernägeln herumknibbelte.
Mirja Libolski war, wie Winnie Heller wusste, achtzehn Jahre jung, wirkte aber ein gehöriges Stück älter, was vornehmlich an den erstaunlich üppigen Rundungen lag, die sich unter dem hautengen Minirock abzeichneten und die wahrscheinlich auf die frühzeitige und regelmäßige Einnahme der Pille zurückzuführen waren.
Apropos, dachte Winnie Heller und beugte sich vor. »Haben Sie gewusst, dass Ihre Freundin schwanger war?«
Mirja Libolski zögerte einen Augenblick, bevor sie nickte. Ein überaus verhaltenes Nicken, das Winnie Heller zunächst annehmen ließ, ihr Gegenüber beschwindele sie. Dass Mirja Libolski nur nicht zugeben wollte, etwas so Wichtiges über ihre Freundin nicht gewusst zu haben. Doch dann bemerkte sie das ängstliche Flackern im Blick des Mädchens und kam zu dem Schluss, dass ihre Zeugin einfach unsicher war.
»Hatte Angela einen festen Freund?«
Mirja Libolski schüttelte so entrüstet den Kopf, als habe Winnie Heller ihr gerade ein mordsmäßig unanständiges Angebot unterbreitet.
»Haben Sie einen?«
»Ich?«
»Ja, Sie.«
»Nein.« Kurzes Schweigen. »Nicht im Augenblick.«
Schönen Gruß an Lübke, dachte Winnie Heller grimmig. Von wegen Konversation machen, Vertrauen aufbauen, smalltalken … »Aber Ihre Freundin wusste schon, wer der Vater des Babys war, das sie erwartete?«
Wieder Nicken. Entschieden dieses Mal. So entschieden, dass Winnie Heller beschloss, den Hinweis auf Angela Lukoschs Promiskuität, der ihr bereits auf der Zunge gelegen hatte, unausgesprochen zu lassen.
»Und?«, fragte sie stattdessen in lockerem Plauderton. »Wer war es?«
»Keine Ahnung.«
Gütiger Gott, war das mühsam! »Angela wusste also, von wem sie schwanger war, aber sie sagte es Ihnen nicht?«, unternahm Winnie Heller einen weiteren Versuch, mit ihrem wortkargen Gegenüber irgendwie auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Allerdings beschlich sie dabei zugleich das Gefühl, dem Mädchen etwas in den Mund zu legen. Eine Befürchtung, die auch durch Mirja Libolskis neuerliches Nicken nicht restlos zerstreut wurde. »Und warum verschwieg sie Ihnen den Namen des Vaters? Ich meine, wo Sie doch beste Freundinnen waren?«
»Ich …« Mirja Libolski klappte den Saum ihres T-Shirts um und betrachtete die Naht so eingehend, als habe sie vor, eine Doktorarbeit über Garnverarbeitungstechniken in der modernen Textilindustrie zu schreiben. »Ich schätze, sie hat einfach versucht, nicht so viel darüber zu reden, weil sie’s nicht behalten wollte.«
Natürlich nicht, dachte Winnie Heller. Ein knappes Dreivierteljahr vor dem Abi war nicht unbedingt die Zeit, die man für die Geburt seines ersten Kindes ins Auge fassen würde. Laut sagte sie: »Angela plante also einen Abbruch?«
Das Mädchen auf der anderen Seite des Tisches bejahte. »Sie hatte auch schon alles mit ihrem Gynäkologen besprochen. Ihr Termin wäre nächste Woche gewesen.«
»Wusste der Vater, dass Angela schwanger war?«
»Angels Vater?«, fragte Mirja Libolski entsetzt, und Winnie Heller konnte sich nur mit äußerster Mühe zurückhalten, einen beißenden Kommentar zur Konzentrationsfähigkeit der heutigen Jugend abzugeben.
»Nein«, sagte sie. »Ich meine den Vater des Babys.« Kam ihr das nur so vor, oder wurde die Kleine plötzlich unruhig? Sie kniff prüfend die Augen zusammen. »Mirja, bitte. Sie müssen mir sagen, was Sie wissen.«
»Mhm.«
»Wusste der Vater des Babys, dass Angela von ihm schwanger war?«
»Sie hat mir gesagt, dass sie es ihm erzählt hätte«, entgegnete das Mädchen mit spürbarem Widerwillen.
»Erzählt, dass sie schwanger ist von ihm?«
»Ja, aber …« Mirja Libolski stutzte. »Na ja, soweit ich weiß, hat sie ihm gegenüber behauptet, dass sie das Kind behalten will.«
Winnie Heller schüttelte ungläubig den Kopf. »Verstehe ich das richtig? Ihre Freundin hatte bereits einen Termin für
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