Querschläger
wieder?«
»Mhm.«
»Gut«, nickte Winnie Heller, »dann kommen wir noch mal auf Angelas Baby zurück. Was glauben Sie, wer der Vater gewesen sein könnte?«
Mirja Libolski kaute hingebungsvoll auf ihrer Unterlippe. Sie schien irgendwie lockerer geworden zu sein. Unbefangener. Als ob mit der Schminke auch die Distanz zerschmolzen wäre. »Angel war eine Zeit lang mit Lukas zusammen«, sagte sie. »Lukas Wertheim.«
Winnie Heller betrachtete die dunklen Ringe zerlaufener Wimperntusche unter den Augen des Mädchens und fragte sich, was »eine Zeit lang« bedeuten mochte, in Zeiten wie diesen. »Wie lange genau?«, fragte sie vorsichtshalber.
»Zwei oder drei Wochen vielleicht.«
Liebe Güte! Dabei war ihr eigenes Abitur doch noch nicht einmal zehn Jahre her! »Und sonst?«
Mirja Libolski zögerte. Vielleicht kämpfte sie mit sich, ob sie ihre verstorbene Freundin als das Flittchen darstellen sollte, das sie zweifellos gewesen war. Oder aber ihr fiel tatsächlich niemand anders ein.
»Hatte Ihre Freundin auch mal was mit Sven Strohte?«, versuchte Winnie Heller, ihrer Zeugin mit einer Möglichkeit, die sie selbst nur allzu gerne ausschließen wollte, auf die Sprünge zu helfen.
Einen Moment lang sah Mirja Libolski aus, als habe sie nicht den leisesten Schimmer, von wem die Rede war. Dann lachte sie laut auf. »Der Klavierspieler? Oh Mann, wer hat das denn behauptet?«
Winnie Heller machte eine vage Handbewegung, die jedwede Deutung zuließ und die Mirja Libolski offenbar tatsächlich dazu veranlasste, ein wenig genauer über diese Möglichkeit nachzudenken.
»Nee«, sagte sie nach einer Weile mit einem entschiedenen Ausdruck in den schräg stehenden Augen. »Mit dem Sven hatte sie unter Garantie nichts.«
»Sind Sie sicher?«, konnte sich Winnie Heller einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. »Immerhin wissen Sie ja auch nicht, wer der Vater des Babys war, das Ihre Freundin nächste Woche abtreiben wollte.«
»Ich hab Ihnen doch schon gesagt, warum sie darüber nicht sprechen wollte«, versetzte Mirja Libolski mit beleidigter Miene. »Aber sonst hat sie mir echt alles erzählt. Und was den Sven angeht …« Sie senkte den Blick und zupfte wieder an einem ihrer Fingernägel herum. »Der hat ihr bloß mal was über Lukas erzählt, glaube ich. So als ob er sie warnen wollte oder so.«
»Wissen Sie, worum es dabei ging?«
Die Katzenaugen wanderten Richtung Decke, während Mirja Libolski überlegte. »Ach, so ’n Gelaber von wegen, der wäre es nicht wert und dass er seine Freundinnen doch sowieso wie den letzten Dreck behandeln würde und so was alles.«
»Stimmte das?«
»Was?«
»Dass Lukas Wertheim seine Freundinnen wie Dreck behandelt hat.«
»Kommt drauf an, was man erwartet«, antwortete Mirja Libolski, und ein neuer Ton in ihrer Stimme ließ Winnie Heller aufblicken. Auf einmal klingt sie total abgebrüht, dachte sie. Ein Mädchen ohne jede Illusion.
»Sprechen Sie da aus Erfahrung?«
Mirja Libolskis Antwort bestand aus einem vielsagenden Lächeln.
Mirja L. hat auch mit Lukas W. geschlafen, notierte Winnie Heller in ihren Notizblock. Dann sah sie wieder ihre Zeugin an. »Wieso ist Angela eigentlich überhaupt schwanger geworden?«, fragte sie, wobei sie sich mit Mühe den Zusatz Bei all der Routine, die sie in diesen Dingen zweifellos gehabt hat verkniff. Zugleich musste sie an ihre eigenen umständlichen Vorbereitungen auf ihren ersten Sex denken. An die Pille, mit deren Einnahme sie mehr als rechtzeitig begonnen hatte. Und an die Kondome, die Timo Wendel zusätzlich besorgt hatte. Sie hatten auf dem Nachttisch gelegen, als der bärtige Polizeipsychologe ihr von dem Unfall ihrer Schwester erzählt hatte, drei an der Zahl … »Hat sie denn nicht aufgepasst?«
»Doch, sicher«, entgegnete Mirja Libolski würdevoll. »Normalerweise schon.«
»Und warum nicht in diesem Fall?«
»Sie …« Das Mädchen blickte wieder auf den Saum seines T-Shirts hinunter. »Sie war wohl ein bisschen betrunken.«
Alles klar, dachte Winnie Heller sarkastisch, Angela Lukosch war ein bisschen betrunken, und anschließend war sie bedauerlicherweise ein bisschen schwanger. Sie stutzte, als ihr etwas einfiel, das Werneuchen gesagt hatte. Sie soll ein ziemliches Früchtchen gewesen sein. Affären mit Schulkameraden, Discobekanntschaften und mindestens einem Nachbarn. Außerdem hat sie sich auch schon ein- oder zweimal mit einer Alkoholvergiftung in der Klinik wiedergefunden, nachdem sie es am Abend zuvor mit dem
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