Querschläger
Geschenk seiner Schwiegereltern und zeigte eine Menge toten Fisch vor einem Strauß üppig blühender Pfingstrosen. Verhoeven hasste das Bild, und er hatte den dringenden Verdacht, dass es seiner Frau nicht viel anders ging. Nichtsdestotrotz hing es seit letztem Sommer dort an der Wand, wo sie es jeden Tag sehen mussten, und verdarb ihnen die Laune.
»Du … Hendrik ist gerade nach Hause gekommen«, nutzte seine Frau unterdessen eine Pause im Redeschwall ihrer Schwester aus, um wieder einmal selbst zu Wort zu kommen. »Ich könnte dich …« Sie biss sich auf die Lippen und ließ geduldig eine weitere Tirade der vortrefflichen Madeleine Leonidis über sich ergehen, wobei sie mit der freien Hand auf den Couchtisch zeigte. Dort stand ein Teller mit liebevoll garnierten Schnittchen. Schinkenspeck, der gute aus Norditalien, dazu Käse, Gurken und Tomatenviertel.
Verhoeven nickte nur. Seit seine Frau gegen seinen ausdrücklichen Willen ihr kurz vor dem ersten Staatsexamen abgebrochenes Jurastudium wiederaufgenommen hatte, tat sie alles, um ihm zu beweisen, dass sie trotz der Doppelbelastung von Uni und Haushalt sehr gut in der Lage war, ihren Mann und ihre Tochter mit allem zu versorgen, was sie sich wünschten. Sie zauberte opulente Frühstücke, kleine Imbisse für zwischendurch, und sie vergaß auch nie, seine Hemden pünktlich aus der Reinigung zu holen. Dennoch hatte Verhoeven nun, da das erste Semester vorüber war, den Eindruck, dass nicht alles so glatt lief, wie Silvie es sich vorgestellt hatte. Nicht, dass seine Frau mit ihren knapp neunundzwanzig Jahren grundsätzlich zu alt zum Studieren gewesen wäre. Aber sie schien erkennen zu müssen, dass fünf Jahre Pause einem durchaus das Gefühl vermitteln konnten, den Anschluss verpasst zu haben.
»Ja sicher, das werde ich«, sagte sie jetzt. »Mach dir keine Sorgen, okay?« Sie schwieg einen Moment, doch ihrer Schwester schienen keine weiteren Einwände gegen eine – zumindest vorübergehende – Beendigung ihres Gesprächs mehr einzufallen; also fügte sie hinzu: »Gut, dann wünsche ich euch jetzt erst mal eine gute Nacht, und bis morgen, ja? … Ja, sicher. Bis dann.« Sie knallte das Telefon auf den Couchtisch und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Gütiger Gott, diese Frau macht mich rasend!«
»Was wollte sie denn?«, fragte Verhoeven mehr aus Höflichkeit als aus echtem Interesse. Er hatte sich längst damit abgefunden, dass Madeleine Leonidis von Zeit zu Zeit vollkommen unvermittelt und ohne erkennbares Motiv über ihre Schwester und damit in gewisser Weise auch über ihn selbst hereinzubrechen pflegte wie ein Platzregen, gegen dessen Wucht kein noch so gut gebauter Schirm etwas auszurichten vermochte. Nass wurde man trotzdem. »Noch dazu um diese Uhrzeit?«
»Ach«, entgegnete seine Frau in einem Tonfall, der ihn stutzig machte. »Darüber sprechen wir morgen, ja?«
»Wieso?«, erkundigte er sich misstrauisch. »Ist was passiert?«
Silvie machte eine wegwerfende Geste und wechselte dann geschickt das Thema. »Wie ist euer Einsatz gelaufen?«
»Überhaupt nicht«, antwortete Verhoeven, wobei er zum ersten Mal an diesem Abend etwas wie Enttäuschung in sich aufsteigen fühlte. Enttäuschung und Wut, dass die wochenlange Vorbereitung umsonst gewesen war. Dass die Arbeit, die sie geleistet hatten, keine Früchte getragen hatte. Dass sie von vorn beginnen mussten, übermorgen. »Unser Kontaktmann ist erst ziemlich spät und obendrein auch noch mit reichlich zwielichtiger Verstärkung am verabredeten Treffpunkt aufgetaucht, sodass wir es für besser hielten, die Aktion zunächst abzubrechen.«
»Tut mir leid«, sagte Silvie.
»Ja«, sagte er. »Mir auch.«
»Und wie hat sich Frau Heller geschlagen?«
»Es hat nicht an ihr gelegen«, antwortete er mechanisch.
»Das hatte ich auch gar nicht angenommen«, versetzte seine Frau, und Verhoeven merkte, wie ihm die Schamesröte über seine unbedachte Bemerkung ins Gesicht kroch.
Er arbeitete nun schon beinahe ein Jahr mit Winnie Heller zusammen, seit sein langjähriger Partner und Förderer Karl Grovius kurz vor der Pensionierung an einem Schlaganfall gestorben war, aber er hätte nicht behaupten können, dass sie in dieser Zeit nennenswert zusammengewachsen waren. Es hatte Momente gegeben, in denen er durchaus das Gefühl gehabt hatte, dass sie einander allmählich besser verstanden, aber dann kam wieder eine von diesen Gelegenheiten, bei denen Winnie Heller ihn mit einem Blick bedachte, der vor lauter
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