Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
Sie, ich helfe Ihnen!« Er beugte sich vor und griff ihr unter die Arme, während sie überlegte, ob sie ihn nicht eigentlich fragen müsste, was er auf der Damentoilette verloren habe. Seine Hände waren schlank, aber kräftig und schlüpften mit geübten Bewegungen unter ihre Achseln und von dort an ihren Brüsten entlang bis zur Taille, als er ihr auf die Beine half. Kein Zweifel, er war noch immer vorsichtig. Aber er schien auch nichts zu finden, das sein Misstrauen erregte. Seine Berührungen waren ebenso zweckmäßig wie gleichgültig. Als sie stand, trat er einen Schritt zurück und musterte sie noch einmal von oben bis unten. »Besser?«
    Winnie Heller nickte und bückte sich nach ihrer Handtasche neben der Kloschüssel. Irgendwie erwartete sie, dass er sie ihr wegnehmen würde, um sie zu inspizieren, doch er würdigte die Tasche keines Blickes.
    »Kann ich sonst noch was für Sie tun?« Er sprach trotz seines fremdländischen Aussehens akzentfreies Deutsch. »Ein Taxi rufen vielleicht?«
    »Danke«, entgegnete sie mit einem leisen Kopfschütteln. »Ich schätze, ich brauche einfach ein paar Stunden Schlaf.«
    »Sind Sie allein hier?«
    »Mein …« Sie hustete und schenkte ihm ein reichlich schiefes Lächeln. »Mein Mann hatte was Besseres vor.«
    Ja, selbstverständlich hatte er das, schien sein Blick zu sagen, bei so einer hässlichen Kuh von Ehefrau. »Und Sie sind sicher, dass Sie es ohne Hilfe bis nach Hause schaffen?«
    Sie nickte wieder. »Klar, kein Problem.«
    »Passen Sie auf, dass Ihnen nicht wieder schlecht wird«, sagte er, dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand durch den Vorraum nach draußen.
    Winnie Heller starrte ihm nach. Ihre Knie fühlten sich an, als bestünden sie aus Gallert, und sie merkte, wie sich das Zittern allmählich über ihren ganzen Körper ausbreitete. Mühsam tastete sie sich durch den Raum, zu den Waschbecken hinüber.
    Ein flüchtiger Blick in den Spiegel verriet ihr, was sie bereits geahnt hatte. Sie sah einfach fürchterlich aus! Ihr Gesicht war aschgrau mit ein paar überaus hässlichen roten Flecken rund um Mund und Nase. Dazu waren Unterlippe und Kinn verschmiert von Lippenstift, und auf ihrer Stirn glitzerte ein zäher, ungesund wirkender Schweißfilm. Winnie Heller stöhnte und zwang sich, ihrem eigenen Anblick eine Weile standzuhalten. Und sie hatte sich tatsächlich Gedanken über die blöde Rötung in ihrem Dekolleté gemacht! Sie schüttelte abschätzig den Kopf, drehte den Hahn auf und hielt ihr Gesicht unter den eiskalten Strahl. Während das Wasser ihr über Stirn und Wangen lief, bemühte sich ihr Verstand vergeblich, zu analysieren, was gerade geschehen war. War sie davongekommen? In Sicherheit? War die Gefahr, enttarnt zu werden, tatsächlich gebannt? Oder hatte der Kerl sie getäuscht und wartete jetzt, in diesem Augenblick, irgendwo da draußen darauf, dass sie die Toilette verließ, um sie sich zu schnappen?
    In ihrem Ohr rauschte das Wasser, und Winnie Heller fühlte, wie ihre Wange allmählich taub wurde vor Kälte, aber sie konnte sich nicht überwinden, den Hahn abzudrehen. Sie wollte, sie brauchte diesen kleinen Aufschub, um wieder zu Kräften zu kommen. Erst als ihr einfiel, dass ihre Kollegen vor dem Klub den Kontakt zu ihr bereits vor Minuten verloren hatten und womöglich gerade lebhaft darüber diskutierten, ob sie ihr zu Hilfe eilen oder doch lieber noch warten sollten, drehte sie das Wasser ab.
    Mit neu erwachender Energie stemmte sie die Hände gegen den Rand des Waschbeckens und blinzelte sich ein paar feine Wassertröpfchen aus den Wimpern. Dann sah sie wieder in den Spiegel. Ihr Gesicht wirkte noch immer reichlich mitgenommen, aber die hektischen Flecken waren nun einer ebenmäßigen Rötung gewichen, die entschieden vorteilhafter war als der grau gesprenkelte Teint von eben.
    Winnie Heller riss ein paar Einweghandtücher aus dem Spender neben dem Becken und trocknete Wangen und Stirn ab. Dann ließ sie sich ein wenig Wasser in die Hand laufen und spülte ihren Mund aus, um anschließend in ihrer Kroko-Puppenhandtasche eine Weile nach Kajalstift und Maskara zu kramen. Du musst dich zusammenreißen, dachte sie. Die Kollegen werden Fragen stellen. Sie werden wissen wollen, wie die Sache gelaufen ist. Und sie werden dein Verhalten analysieren.
    Im grellen Neonlicht des Spiegels zog sie einen halbwegs geraden Lidstrich um ihre etwas zu kleinen und annähernd runden Augen, tuschte die Wimpern zweimal kräftig schwarz und

Weitere Kostenlose Bücher