Quicksilver
heraus – Neuigkeiten oder Gerüchte darüber wogten von einem Ende dieser Menge zum anderen so wie Wellen beim Aufschütteln eines Teppichs, mit genauso viel Lärm, Bewegung und auffliegendem Staub. Wie die Pocken wurden sie mit großer Geschwindigkeit von einer Person zur nächsten übertragen, in der Regel als knapper Austausch von Worten und Zahlen. Jedes dieser Gespräche endete mit einer Geste, die aussah, als wäre sie vor vielen Generationen einmal ein Händedruck gewesen, im Laufe der Zeit aber zu einem kräftigen Zusammenschlagen der Hände degeneriert. Wenn sie richtig ausgeführt wurde, erzeugte sie ein scharfes Knallen und hinterließ eine leuchtend rote Handfläche. So konnte man die Verbreitung von Nachrichten, Gerüchten, Modetorheiten,Trends etc. durch diese Menschenmenge verfolgen, indem man den Wellen von Handschlägen lauschte. Wenn die Welle über einem zusammenschlug und weiterzog und man keine rote Handfläche hatte und einem die Ohren nicht klangen, hieß das, dass man irgendetwas Wichtiges verpasst hatte. Und Jack war das gerade recht. Doch Eliza hielt es nicht aus. Schon vor langer Zeit hatte sie begonnen, auf solchen Geräuschwellen zu reiten und sich von Orten anziehen zu lassen, wo sie am stärksten waren. Schlimmer noch, sie schien zu verstehen, was hier vor sich ging. Sie konnte ein bisschen Spanisch, die Sprache, die viele von diesen Leuten sprachen, vor allem die zahlreichen Juden unter ihnen.
Eliza fand eine Unterkunft unweit vom Damplatz in südwestlicher Richtung. In einer Gasse, die gerade so eng war, dass Jack beide Seiten gleichzeitig berühren konnte, hatte jemand den Versuch gewagt, diese Lücke zwischen dem zweiten, dritten und vierten Stock der angrenzenden Gebäude mit ein paar Balken zu überbrücken und diese als Gerüst für eine Art Haus zu benutzen. Die Häuser zu beiden Seiten waren mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in den darunter liegenden Schlamm gesunken, sodass das Haus über der Gasse schief, rissig und undicht war. Dennoch mietete Eliza nach einem apokalyptischen Geschachere mit der Vermieterin (von dem Jack, der bis dahin Türk versorgt hatte, nur die letzte halbe Stunde mitbekam) den vierten Stock. Die Vermieterin war eine hundsgesichtige Kalvinistin, die Eliza sofort als für die Hölle prädestiniert erkannt hatte, und sich deshalb durch Jacks Ankunft und sein anschließendes Herumlungern kaum beeindruckt zeigte. Allerdings verhängte sie ein striktes Besuchsverbot – wobei sie Jack so mit dem Finger drohte, dass ihre Silberringe wie die Glieder einer Kette klirrend aneinander stießen. Jack dachte kurz daran, zum Beweis seiner Keuschheit seine Hose herunterzulassen. Doch diese Reise nach Amsterdam war Elizas Plan gewesen, nicht Jacks, und er hatte das Gefühl, dass so etwas darin nicht vorgesehen war. Sie hatten eine Bleibe, jedenfalls Eliza, und Jack konnte über Dachfirste und Abflussrohre kommen und gehen.
Sie lebten eine ganze Weile in Amsterdam.
Jack erwartete, dass Eliza anfing, irgendetwas zu tun , doch sie schien es zufrieden, sich die Zeit in einem Kaffeehaus am Damplatz zu vertreiben, hin und wieder Briefe an den Doktor zu schreiben und hin und wieder welche zu bekommen. Die umherwandernde Menge begierig wirkender Menschen streifte genau dieses Kaffeehaus, »Die Maid«, zweimal am Tag – ihre Bewegungen besaßen nämlich eine Regelmäßigkeit. Bis Schlag zwölf hatten sie sich auf dem Damm versammelt, von wo aus sie die Straße hinunter zu einem »Die Börse« genannten Hof drängten, wo sie bis zwei Uhr blieben. Dann strömten sie hinaus, verlagerten ihren Handel wieder auf den Damm und teilten sich in diverse Cliquen und Verschwörergrüppchen auf, die verschiedene Kaffeehäuser frequentierten. Elizas Wohnung saß genau über einer wichtigen Route, sodass sie zwischen ihr und ihrem Kaffeehaus nie außer Hörweite war.
Jack war der Meinung, Eliza gebe sich, wie die Tochter eines Edelmanns, damit zufrieden, von dem zu leben, was sie hatten, und das war Jack, dem das Ausgeben eher lag als das Verdienen, völlig recht. Er nahm derweil seine alte Gewohnheit wieder auf, an jedem ihm unbekannten Ort viele Tage mit Herumstreifen zu verbringen, um zu erfahren, wie dieser Ort funktionierte. Unfähig, zu lesen, nicht besonders tauglich zur Konversation, machte er seine Erfahrungen durch Beobachtung – und hier gab es jede Menge gutes Beobachtungsmaterial. Zuerst beging er den Fehler, seine Krücke in Elizas Mansarde zu lassen und als
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