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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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kerngesunder Mann loszugehen. Auf diese Weise erfuhr er, dass Amsterdam trotz all dieser Hollandgänger, die aus dem Osten kamen, gierig nach Arbeitskräften war. Er war noch nicht eine Stunde auf der Straße, da wurde er schon wegen Müßiggangs arrestiert und zum Ausräumen von Kanälen herangezogen – und als er den ganzen Schlamm sah, der da vom Boden hochkam, dachte er zum ersten Mal, dass an der Geschichte des Doktors von den kleinen Lebewesen, die auf dem Grund von Flüssen begraben wurden, vielleicht doch etwas dran war.
    Als der Vorarbeiter ihn und die anderen am Ende des Tages endlich vom Schlammräumen entließ, konnte er kaum auf den Kai klettern, denn dort drängten sich Männer, die mit Börsen voll schwer klingender Münzen klimperten: Agenten, die versuchten, Matrosen als Besatzung für diese Schiffe auf dem Ij anzuheuern. Jack machte sich sofort aus dem Staub, denn wenn die Nachfrage nach Seeleuten so stark war, wurden hier bestimmt Matrosen gepresst: Ein Fehltritt in einer dunklen Gasse oder ein Freibier in einer Schänke, und er würde mit Kopfschmerzen auf einem Schiff in der Nordsee mit Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung oder noch darüber hinaus erwachen.
    Bevor er das nächste Mal ausging, band er seinen linken Fuß an seiner Arschbacke fest und nahm seine Krücke. In dieser Verkleidung konnte er an den Ufern des Ij auf und ab gehen und so viel schauen, wie er wollte. Allerdings musste er sogar hier zügig gehen, damit man ihn nicht für einen Vagabunden hielt und zur Besserung in ein Arbeitshaus steckte.
    So manches wusste er schon aus Gesprächen mit Landstreichern und aus dem Studium der großflächigen Landkarten des Doktors: dass das Ij sich zu einem Binnenmeer namens Ijsselmeer verbreiterte, das durch die Insel Texel vor dem Ozean geschützt war. Dass es bei Texel gute Tiefwasserankerplätze gab, dass zwischen der Insel und dem Ijsselmeer jedoch breite Sandbänke lagen, auf denen wie auf den Sandbänken in der Themsemündung schon viele Schiffe stecken geblieben waren. Von daher seine Verwunderung über die Größe der Handelsflotte im Ij: Er wusste, dass die großen Schiffe diesen Punkt nicht einmal erreichen konnten.
    Ganze Reihen von Pfählen hatten sie in den Grund des Ij gerammt, um die Arme des U abzuriegeln und zu verhindern, dass französische oder englische Kriegsschiffe geradewegs bis zum Damplatz fuhren. Diese Pfähle trugen einen Plankenweg, der sich in einem abgeflachten Bogen über den Hafen spannte, mit Zugbrücken hier und da, um kleine Boote – Fährboote, flämische Flussschiffe, käferartige Bötchen, fassförmige »Smakschips« – in den inneren Hafen, in die Kanäle und in den Damrak, den kurzen schmalen Wasserlauf, der als Einziges von der ursprünglichen Amstel übrig geblieben war, durchzulassen. Größere Schiffe waren außerhalb dieser Sperre vertäut. Am östlichen Ende des inneren Hafens hatten sie eine neue Insel mit Namen Oostenburg geschaffen und dort eine Schiffswerft errichtet: Darüber flatterte eine Fahne, auf der ein kleines o und ein kleines c auf den Hörnern eines breiten V aufgespießt waren, was für die holländischostindische Kompanie stand. Diese Werft war für sich genommen ein Wunder, mit ihren Reeperbahnen – ganz schmalen, eine Drittelmeile langen Gebäuden -, Windmühlen, die Blei mahlten und Gewehrläufe ausbohrten, einer ständig umwölkten Dampfkammer zum Biegen von Holz, Dutzenden von rauchenden und klirrenden Schmieden, darunter zwei gewaltigen, in denen Anker hergestellt wurden, und einer kleinen schmucken zur Nagelproduktion und einer Teerfabrik auf einem eigenen Inselchen, damit, wenn sie abbrannte, nicht die ganze übrige Werft mit in Flammen aufging. Ein eigener Bezirk nur mit Lagerhäusern. Obergeschosse, in denen Platz genug war, um dort Segel von einer Größe herzustellen, wie Jack sie noch nie gesehen hatte. Und auf den Hellingen natürlich Skelette mehrerer großer Schiffe, die durch hölzerne Diagonalverstrebungen vor dem Umfallen bewahrt werden sollten und auf denen es von Arbeitern wimmelte wie von Ameisen auf den Knochen eines Wals.
    Irgendwo musste es auch Holzschnitzer- und Vergoldermeister geben, denn die Vorder- und Hintersteven der V.O.C.-Schiffe auf dem Ij waren, Pariser Bordellen gleich, mit geschnitzten Statuen verziert, die einen Überzug aus Blattgold besaßen: einer Jungfrau beispielsweise, die, einen Arm malerisch auf einem Globus drapiert, auf einem Sofa ruhte, und dazu Merkur, der von oben herabschoss,

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