Quicksilver
um sie mit dem Lorbeerkranz zu krönen. Und doch begann gleich jenseits des Zauns aus Windmühlen und Wachttürmen, die die Silhouette der Stadt bildeten, wieder das offene Land mit Weiden und Gräben. Nur wenige Schritte von den aus Indien kommenden Schiffen entfernt, aus denen Gewürze und Kaliko in kleine Boote umgeladen wurden, die unter den Zugbrücken hindurch zum Damrak fuhren, grasten Rinder.
Der Damrak reichte genau bis an die Seite des neuen Waaghauses der Stadt, eines recht hübschen Gebäudes, das allerdings von einem beständigen Schwarm von Booten fast völlig verdeckt wurde. Im Erdgeschoss war es zu allen Seiten hin offen – es stand auf Pfählen wie ein Landstreicherschuppen im Wald – und als Jack hineinschaute, konnte er sehen, dass seine gesamte Grundfläche mit Waagen unterschiedlicher Größe und Ständern und Regalen mit Kupfer- und Messingzylindern bedeckt war, in die wilde Bögen in Schreibschrift eingraviert waren: Gewichte für all die Maßeinheiten, die in den verschiedenen holländischen Provinzen und den Ländern der Welt benutzt wurden. Es war, wie unschwer zu erkennen, das dritte Waaghaus, das hier errichtet worden war, aber es bot noch immer nicht genug Platz, um all die Waren, die auf diesen Booten eintrafen, zu wiegen und zu kennzeichnen. Ankommende Schaluppen konkurrierten mit flachen Kanalbooten, die die gewogenen und abgestempelten Waren zu den Lagerhäusern der Stadt brachten, um schmale Fahrrinnen, und alle paar Minuten ratterte ein kleiner schwerer Karren voller Münzen, mit denen die Schiffskapitäne den Zoll entrichtet hatten, über den Damplatz davon und beschleunigte seine Fahrt in Richtung Handelsbank, wobei er Händler mit Perücken, Bändern oder Turbanen auf dem Kopf aus dem Weg scheuchte. Die Handelsbank war dasselbe wie das Rathaus, und einen Steinwurf von dort entfernt lag die Börse – ein rechteckiger Hof, der umgeben war von Säulengängen wie denen in Leipzig, nur größer und heller.
Eines Nachmittags kam Jack in der Maid vorbei, um Eliza am Ende ihres harten Tagwerks, das aus Kaffeetrinken und Ausgeben des Shaftoe-Erbes bestand, abzuholen. Das Lokal war voll, und Jack glaubte, er könne durch die Tür schlüpfen, ohne die Aufmerksamkeit irgendwelcher Amtsdiener zu erregen. Es war ein reich verzierter, luftiger Raum mit einer hohen Decke, überhaupt nicht heiß und drückend wie eine Schänke, mit klugen Leuten, die in einem halben Dutzend Sprachen drauflosredeten. An einem Ecktisch in der Nähe eines Fensters, wo Licht aus dem Norden vom Ij her ihr Gesicht erstrahlen lassen konnte, saß Eliza, flankiert von zwei anderen Frauen, und hielt Hof (jedenfalls schien es so) für einen Aufmarsch von Italienern, Spaniern und anderen dunkelhäutigen, Rapiere tragenden Männern mit ausladenden Perücken und leuchtenden Kleidern. Hin und wieder griff sie nach einer großen runden Kaffeekanne, und in diesen Momenten sah sie aus wie die Jungfrau von Amsterdam, so wie man sie auf einem Schiffsheck – und im Übrigen auch als Deckengemälde just in diesem Raum sehen konnte: locker in Ellen von goldenem Satin gehüllt, eine Hand auf einem Globus, eine Brustwarze vorstehend, Merkur immer hinter ihr oder rechts von ihr oder unter ihr, dazu die stets gegenwärtigen Kerle mit Turbanen und federgeschmückte Schwarze, die ihr mit Perlenschnüren und riesigen Silbertellern ihre Aufwartung machten.
Sie flirtete gerade mit diesen genuesischen und florentinischen Kaufmannssöhnen, und bis zu einem gewissen Punkt konnte Jack das ertragen. Aber sie waren reich. Und das war alles, was sie tat, Tag für Tag. Für ein paar Minuten musste er sich abwenden. Doch mit der Zeit löste sein Zorn sich auf wie die Wolken von Asche, die aus dem Gemisch ausgewaschen wurden und sich auflösten, um unter dem klaren fließenden Wasser einen hübschen Silberglanz zu offenbaren. Eliza starrte ihn an – und sah alles. Sie lenkte ihren Blick auf irgendetwas neben ihm und gab ihm zu verstehen, dass er es sich anschauen sollte; dann wandte sie ihre blauen Augen ihrem Gegenüber am Tisch zu und lachte über eine geistreiche Bemerkung.
Jack folgte ihrem Blick und entdeckte eine Art Schrein an der Wand. Es war eine Vitrine mit einer Glasfront, aber ganz mit Blattgold versehen und mit Trompete blasenden Seraphim geschmückt, so als wären ihre Fächer dazu geschnitzt worden, Teile des Heiligen Kreuzes und abgeschnittene Fingernägel von Erzengeln zu beherbergen. Tatsächlich enthielten die Nischen
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