Quicksilver
völlig erschöpft auf dem Boden. Seine Gehilfen waren dabei, Lumpen zwischen die Gesäßbacken des Königs zu stopfen. Unvermittelt aufzuhören, hätte die ganze List zunichte gemacht, und so schloss ich die Augen wieder und brachte mich zu einem schreienden – wenn auch simulierten – Höhepunkt, stöhnte mit einem langen Atemzug ein letztes Mal und machte die Augen wieder auf.
Pater Édouard stand immer noch über mir, aber seine Augen waren geschlossen und seine Gesichtszüge schlaff. Diesen Gesichtsausdruck habe ich schon einmal gesehen.
Der König stand gerade auf, flankiert von zwei Gehilfen, die bereit waren, ihn aufzufangen, falls er ohnmächtig werden sollte. Er war leichenblass und taumelte von einer Seite zu anderen, war aber – kaum zu glauben – am Leben und wach und gerade dabei, seine Kniebundhose selbst zuzuknöpfen. Hinter ihm packten andere Gehilfen die blutigen Laken und Tropfschutztücher zusammen und trugen sie eilends zur Hintertür hinaus.
Und das sagte der König zu mir, bevor er ging:
»Adlige von Frankreich genießen meine Wertschätzung und mein Vertrauen als ein Geburtsrecht und machen sich durch ihre Versäumnisse selbst zu gemeinen Leuten. Gemeine können sich meine Wertschätzung und mein Vertrauen verdienen, indem sie mich erfreuen, und sich dabei selbst adeln. Ihr könnt mich erfreuen, indem Ihr mir Diskretion erweist.«
»Was ist mit d’Avaux?«, fragte ich.
»Ihm könnt Ihr alles erzählen«, sagte der König, »damit er Stolz empfindet, insofern als er mein Freund, und Furcht, insofern als er mein Feind ist.«
Monseigneur, ich weiß nicht, was Seine Majestät damit meinte, aber ich bin sicher, Ihr wisst es …
An Gottfried Wilhelm Leibniz
29. September 1685
Doktor, ein Wechsel der Jahreszeit hat stattgefunden und eine merkliche Verfinsterung des Lichts 59 mit sich gebracht. In zwei Tagen wird die Sonne weiter unterhalb des südlichen Horizonts versinken, da ich mit Mme. la Duchesse d’Ozoir nach Dünkirchen an die äußerste nördliche Grenze des Königreichs und von dort, so Gott will, nach Holland reise. Ich habe gehört, dass die Sonne im Süden, in Savoyen, sehr heiß geschienen hat, davon später mehr .
Der König befindet sich im Krieg – nicht nur mit den protestantischen Häretikern, von denen sein Königreich überschwemmt ist, sondern auch mit seinen eigenen Ärzten. Vor ein paar Wochen wurde ihm ein Zahn gezogen. Jeder nach dem Zufallsprinzip auf dem Pont-Neuf ausgesuchte Zahnzieher hätte diese Operation durchführen können, aber d’Aquin, der Zahnarzt des Königs, hat es verpatzt und in der so entstandenen Wunde kam es zu einem Abszess. D’Aquins Lösung für dieses Problem bestand darin, alle noch verbliebenen Zähne im Oberkiefer des Königs zu ziehen. Doch während er das tat, schaffte er es irgendwie, einen Teil des königlichen Gaumens herauszureißen, was eine entsetzliche Wunde entstehen ließ, die er dann mittels rotglühenden Eisen schließen musste. Dennoch bildete sich auch hier ein Abszess, und die Wunde musste mehrmals ausgebrannt werden. Es gibt noch eine weitere Geschichte über die Gesundheit des Königs, die ich Euch ein andermal erzählen muss.
Es ist nahezu unbegreiflich, dass ein König so leiden muss, und wenn diese Tatsachen unter den Kleinbauern allgemein bekannt wären, würden sie bestimmt als ein Zeichen göttlichen Missfallens fehlgedeutet. In den Wandelgängen von Versailles, wo die meisten, aber nicht alle!, Leiden des Königs allgemein bekannt sind, gibt es ein paar ausgemachte Einfaltspinsel, die auch so denken; doch glücklicherweise wurde dieses Schloss in den vergangenen Wochen mit der Anwesenheit von Pater Édouard de Gex beehrt, einem energischen jungen Jesuiten aus guter Familie, als Ludwig 1667 die Franche-Comté besetzte, betrog diese Familie ihre spanischen Nachbarn und öffnete seiner Armee ihre Tore; Ludwig hat sie mit Titeln belohnt und Günstling von Mme. de Maintenon, die ihn als eine Art geistigen Führer betrachtet. Wo die meisten unserer liebedienernden höfischen Priester die durch die Leiden des Königs aufgeworfenen theologischen Fragen eher umgehen würden, hat Pater Édouard kürzlich den Stier bei den Hörnern gepackt und diese Fragen auf außerordentlich direkte und öffentliche Weise gestellt und beantwortet. In der Messe hat er ausführliche Predigten gehalten, und Mme. de Maintenon hat dafür gesorgt, dass seine Worte gedruckt und über Versailles und Paris verbreitet wurden. Ich werde versuchen,
Weitere Kostenlose Bücher