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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Euch ein Exemplar dieses Büchleins zu schicken. Seine wesentliche Aussage besteht darin, dass der König Frankreich ist und dass seine Gebrechen und Leiden die Verfassung des Königreiches widerspiegeln. Wenn sich in verschiedenen Winkeln seines Körpers Abszesse gebildet hätten, sei das gewissermaßen eine fleischliche Metapher für die fortdauernde Existenz von Häresie innerhalb der Grenzen Frankreichs – womit, wie jedermann weiß, die R.P.R., die Religion Prétendue Réformée , oder, wie manche sie auch nennen, die Hugenotten gemeint sind. Die Ähnlichkeiten zwischen Gemeinschaften der R.P.R. und eiternden Abszessen sind vielfältiger Natur, nämlich …
Verzeiht mir diese endlose Predigt, aber ich habe viel zu sagen und bin es leid, immer nur Kleider und Schmuck zu beschreiben, um meine Spuren zu verdecken. Diese Familie von Pater de Gex, Mme. la Duchesse d’Oyonnax und Mme. la Marquise d’Ozoir hat lange in den Bergen des Jura zwischen Burgund und der südlichen Spitze der Franche-Comté gelebt. Das ist ein Gebiet, in dem vieles zusammenkommt, und infolgedessen eine Art Füllhorn von Feinden. Über Generationen hinweg schauten sie voller Neid zu, wie ihr Nachbar, der Herzog von Savoyen, nur dadurch zu einem großem Maß an Reichtum und Macht gelangte, dass er über der Verbindungsstraße zwischen Genua und Lyon – der finanziellen Hauptschlagader des Christentums – saß. Und von ihren Schlössern im südlichen Jura aus können sie buchstäblich in die kalten Fluten des Genfer Sees hinunterblicken, den Urquell des Protestantismus, wo die englischen Puritaner unter der Herrschaft der Blutigen Mary Zuflucht suchten und die französischen Hugenotten sicheren Schutz vor den Unterdrückungsmaßnahmen ihrer Könige genossen haben. In letzter Zeit habe ich Pater Édouard oft gesehen, da er häufig Besuche in den Gemächern seiner Cousinen macht, und in seinen dunklen Augen habe ich einen Hass auf die Protestanten wahrgenommen, der Euch, wenn Ihr ihn sehen könntet, das Blut in den Adern gefrieren ließe.
Für diese Familie war die Gelegenheit gekommen, als Ludwig, wie schon erwähnt, die Franche-Comté eroberte, und sie scheute sich nicht, den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen. Das vergangene Jahr brachte ihr noch mehr Glück: Der Herzog von Savoyen wurde gezwungen, Anne Marie, die Tochter von Monsieur mit seiner ersten Frau, Minette von England, und damit Nichte von König Ludwig XIV., zur Frau zu nehmen. So wurde der – bis dato unabhängige – Herzog zu einem Teil der Bourbonenfamilie und den Launen des Patriarchen ausgeliefert.
Nun grenzt Savoyen auch an diesen störenden See, und lange Zeit war es so, dass die kalvinistischen Proselyten die Täler hinaufzogen, um dem gemeinen Volk zu predigen, das, dem Beispiel seines Herzogs folgend, freiheitsliebend und für das Glaubensbekenntnis der Rebellen empfänglich gewesen ist.
Das Ende der Geschichte könnt Ihr Euch fast denken, Doktor. Pater Édouard hat seiner Schülerin, Mme. de Maintenon, alles darüber erzählt, wie die Protestanten in Savoyen überhandgenommen und das Übel an ihre R.P.R.-Brüder in Frankreich weitergegeben haben. De Maintenon trägt das alles dem leidenden König zu, der selbst in seinen besten Zeiten nie gezögert hat, seinen Untertanen und sogar seiner eigenen Familie gegenüber grausam zu sein, wenn es dem Wohl des Königreiches dient. Dies sind aber nicht die besten Zeiten für den König – das Licht hat sich spürbar verfinstert, weshalb ich auch dieses Hexagramm als Schlüssel für meine Verschlüsselung benutzt habe. Der König hat dem Herzog von Savoyen gesagt, die »Rebellen«, was sie für ihn sind, müssten nicht nur unterdrückt – sie müssten ausgerottet werden. Der Herzog hat versucht, Zeit zu gewinnen, denn er hoffte, mit der Heilung seiner Leiden würde sich auch die Stimmung des Königs aufhellen. Er hat eine Entschuldigung nach der anderen vorgebracht. Doch in allerjüngster Zeit hat der Herzog den Fehler begangen zu behaupten, er könne die Befehle des Königs nicht ausführen, da es ihm am nötigen Geld mangele, einen militärischen Feldzug zu organisieren. Ohne zu zögern bot der König ihm großzügig an, das Unternehmen aus eigener Tasche zu finanzieren.
Während ich dies schreibe, bereitet Pater Édouard sich auf den Ritt gen Süden als Feldprediger einer französischen Armee unter Maréchal de Catinat vor. Sie werden in Savoyen einmarschieren, ob der Herzog will oder nicht, und in die Täler der

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