Quicksilver
großer, unförmiger Sack wurde daran in die Luft gezogen; hoch über dem Feuer schwang er hin und her. Ich vermutete, er sei voll mit irgendwelchen Würsten, die gegart oder geräuchert werden sollten.
Dann sah, ich, dass sich in dem Sack etwas bewegte.
Das Seil wurde nachgelassen, und der sich windende Sack sank herab, bis seine Unterseite von den Flammen darunter rot glühte. Ein entsetzliches Jaulen kam aus ihm heraus, und der Sack fing an zu zappeln und zu hüpfen. Jetzt wurde mir klar, dass er mit Dutzenden streunender Katzen gefüllt war, die auf den Straßen von Paris eingefangen und zur allgemeinen Volksbelustigung hierher gebracht worden waren. Und glaubt mir, Monseigneur, das Volk war belustigt!
Wäre ich ein Mann gewesen, hätte ich auf diesen Platz hinausreiten, das Seil mit einem Schwertstreich durchschneiden und die armen Tiere so in einen raschen Tod unten in dem tosenden Feuer schicken können. Doch leider bin ich kein Mann, habe weder Pferd noch Schwert, und selbst wenn ich das alles hätte, fehlte es mir vielleicht an Mut. In meinem ganzen Leben bin ich nur einem einzigen Mann begegnet, der tapfer oder unbesonnen genug wäre, solch eine Tat zu vollbringen, doch fehlte es ihm an Charakterstärke, und er hätte sich wahrscheinlich zusammen mit all diesen anderen an dem Spektakel ergötzt. Alles, was ich tun konnte, war, die Läden zu schließen und meine Ohren zu verstopfen; und während ich das tat, bemerkte ich, dass viele Fenster rund um den Platz offen waren. Kaufleute und Standespersonen schauten ebenfalls zu und brachten sogar ihre Kinder heraus.
Während der furchtbaren Jahre der Fronde, als der junge Ludwig XIV. von aufständischen Prinzen und den hungernden Massen durch die Straßen von Paris gehetzt wurde, muss er eine dieser Katzenverbrennungen mitbekommen haben, denn in Versailles hat er etwas Ähnliches geschaffen: All die Adligen, die ihn quälten, als er eine verängstigte kleine Maus war, sind zusammengetrieben, in diesen Sack geworfen und in die Luft gezogen worden, und der König hat das Ende des Seils in der Hand. Ich bin jetzt auch in dem Sack, Monseigneur, aber da ich nur ein Kätzchen bin, dessen Krallen noch nicht gewachsen sind, kann ich nichts anderes tun, als mich möglichst nah bei größeren und gefährlicheren Katzen aufzuhalten.
Mme. la Duchesse d’Oyonnax führt ihren Haushalt wie ein Linienschiff: immer alles in Schuss. Ich war nicht mehr vor der Tür, seit ich in den Dienst ihrer Schwester getreten bin. Mein Teint ist blass geworden, und all die zusammengestückelten Kleider in meinem Kleiderschrank sind zu Lumpen zerrissen und durch bessere ersetzt worden. Ich will nicht von Eleganz sprechen, denn ich darf die beiden Schwestern in ihren eigenen Gemächern niemals überstrahlen. Noch darf ich sie in Verlegenheit bringen. So wage ich zu sagen, dass die Herzogin nicht mehr zusammenzuckt oder das Gesicht verzieht, wenn sie meiner ansichtig wird.
Folglich errege ich jetzt wieder die Aufmerksamkeit der jungen Burschen. Diente ich immer noch M. le Comte de Béziers, hätte ich nicht einen einzigen Augenblick meine Ruhe, aber Mme. la Duchesse d’Oyonnax hat Klauen – manche würden sagen: mit Giftspitzen versehene – und Reißzähne. Damit ist die Lust der Höflinge darauf beschränkt, die üblichen Gerüchte und Spekulationen über mich zu verbreiten: Dass ich eine Hure sei, dass ich eine Prüde sei, dass ich eine Sapphistin sei, dass ich eine noch unverbildete Jungfrau sei, dass ich eine frühere Meisterin exotischer sexueller Praktiken sei. Eine amüsante Folge meiner Bekanntheit ist, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit Männer die Herzogin besuchen, und während die meisten von ihnen nur mit mir ins Bett gehen wollen, bringen manche Wechsel oder kleine Diamantenbörsen mit und statt mir schmeichlerische oder obszöne Anträge zu machen, fragen sie: »Welche Rendite könnte das in Amsterdam bringen?« Darauf antworte ich immer: »Tja, das hängt alles von der Laune des Königs ab, denn laufen die Geschäfte in Amsterdam nicht in Abhängigkeit von den Kriegen und Verträgen, die zu führen und zu schließen nur Seine Majestät die Macht besitzt?« Sie meinen, ich sei einfach nur schüchtern.
Heute besuchte mich der König; aber es ist nicht, was Ihr denkt.
Über das Kommen Seiner Majestät war ich von dem Cousin der Herzogin in Kenntnis gesetzt worden: einem Jesuitenpater namens Édouard de Gex, der aus einem pays im Südosten, wo seine Familie ihren Stammsitz hat, zu
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