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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hervor.
    »Ich kann nicht zu Eurer Kutsche gehen, Sir.«
    »Das ist auch nicht nötig«, sagte Pepys und machte die Tür auf, hinter der zwei Träger mit einer Sänfte zum Vorschein kamen – einer Sänfte vom kleinsten Typ, kaum mehr als ein Sarkophag an Stangen, so beschaffen, dass der Beförderte von der Straße bis ins Haus gebracht werden konnte, ohne aussteigen zu müssen, und daher sehr beliebt bei scheuen Menschen wie etwa Prostituierten.
    »Bah, was werden die Leute denken?«
    »Dass die Fellows der Royal Society jemand äußerst Geheimnisvollen zu Gast haben – also alles wie gewohnt!«, antwortete Pepys. »Macht Euch um unseren Ruf keine Gedanken, der kann nicht mehr tiefer sinken; und wir werden reichlich Zeit haben, uns darum zu kümmern, wenn Ihr fort seid.«
    Unter einem Schwall vorwiegend nichtkonstruktiver Kritik vonseiten Mr. Pepys’ hoben die beiden Träger Daniel aus dem Bett und liefen, als sie das taten, graugrün an. Daniel erinnerte sich, welcher Geruch in Wilkins’ letzten Wochen in dessen Schlafkammer geherrscht hatte, und er nahm an, dass er nun auch so riechen müsse. Sein Körper war so leicht und steif wie ein Fisch, den man auf einem Holzgestell in der Sonne getrocknet hat. Sie setzten ihn in den schwarzen Kasten und klappten die Tür hinter ihm zu, und Daniel stieg der Duft von Parfüms und Pudern in die Nase, der von der üblichen Kundschaft zurückgeblieben war. Vielleicht roch so aber auch nur die ganz gewöhnliche Londoner Luft im Vergleich mit seinem Bett. Sein Bezugsrahmen begann sich zu neigen und zu schwanken, während sie ihn die Treppe hinunterbugsierten.
    Sie trugen ihn Richtung Norden, hinter die römische Mauer, was die falsche Richtung war. Doch insofern Daniel den Tod vor Augen hatte, kam es ihm unlogisch vor, sich über etwas so Belangloses wie seine Entführung durch zwei Sänftenträger aufzuregen. Als er seinen steifen Hals drehte, um durch die mit einer Blende versehene Öffnung in der hinteren Wand des Kastens hinauszuspähen, sah er Pepys’ Kutsche hinterherschleichen.
    Während sie durch Straßen und Gassen manövrierten, boten sich diverse An- und Ausblicke und mehr oder weniger jämmerliche Spektakel. Doch ein großes, frisch fertig gestelltes Steingebäude mit einer Kuppel präsentierte sich stets unmittelbar vor ihnen und rückte immer näher. Es war Bedlam.
    Nun hätte an dieser Stelle jeder andere Mensch in London zu schreien begonnen und zu flüchten versucht, da ihm klar geworden wäre, dass er im Begriff stand, für einen Aufenthalt von unbekannter Dauer in jene Einrichtung gesteckt zu werden. Doch Daniel war unter den Londonern insofern die große Ausnahme, als Bedlam für ihn nicht bloß ein Verwahrungsort für Wahnsinnige, sondern auch der Aufenthaltsort seines Freundes und Kollegen Robert Hooke war. Gelassen ließ er sich zur Eingangstür hineintragen.
    Dennoch war er ein wenig erleichtert, als die Träger sich von den verschlossenen Räumen abwandten und ihn in Richtung von Hookes Arbeitszimmer unter der Kuppel trugen. Das Geheul und Geschrei der Insassen verebbte zu einer Art leisem Hintergrundgeplapper und wurde dann von fröhlicheren Stimmen übertönt, die durch eine blank polierte Tür drangen. Pepys eilte an der Sänfte vorbei und riss diese Tür auf, hinter der sie alle warteten: nicht nur Hooke, sondern auch Christiaan Huygens, Isaac Newton, Isaacs kleiner Schatten Fatio, Robert Boyle, John Locke, Roger Comstock, Christopher Wren und zwanzig weitere – zumeist reguläre Mitglieder der Royal Society, aber auch ein paar Außenstehende wie Edmund Palling und Sterling Waterhouse.
    Sie lüpften ihn aus seiner Sänfte, wie man ein seltenes Exemplar aus seiner Transportkiste auspackt, und hoben ihn hoch, worauf ihm mehrere Wellen von Hochrufen und Trinksprüchen entgegenschlugen. Roger Comstock (der, nachdem sich Englands oberste Erziehungsberechtigte allesamt nach Frankreich abgesetzt hatten, jeden Tag mehr an schrecklicher Wichtigkeit gewann) kletterte auf den Tisch, auf dem Hooke seine Linsen schliff (Hooke geriet in Zorn und musste vonWren festgehalten werden), und gebot Schweigen. Dann hielt er ein Becherglas mit einer Flüssigkeit hoch, die durchsichtiger war als Wasser.
    »Wir alle wissen, wie sehr Mr. Daniel Waterhouse die Alchimie schätzt und bewundert«, begann Roger. Dies geriet doppelt komisch aufgrund der übertriebenen Aufgeblasenheit seiner Stimme und seines Gebarens; er bediente sich seiner Parlamentsstimme. Nachdem das

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