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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ersinnen, ein gewaltiges Projekt zur Finanzierung der ewigen Narrheiten des Staates. Spanien mochte Bergwerke in Amerika und Frankreich mochte einen unerschöpflichen Vorrat an zu besteuernden Bauern besitzen, doch Sterling und Sir Richard schienen zu glauben, dass England seinen Mangel an beidem mit irgendeinem metaphysischen Taschenspielertrick überwinden könne. Huygens kam zu Daniel herüber und erzählte ihm die traurige Neuigkeit, dass die Gräfin de la Zeur unverheiratet schwanger geworden sei und das Kind verloren habe. In gewisser Weise jedoch freute es Daniel zu hören, dass sie vorankam mit ihrem Leben. Er hatte einmal davon geträumt, ihr die Ehe anzutragen. Wenn er nun seinen Zustand betrachtete, fiel es schwer, sich eine schlechtere Idee vorzustellen.
    Doch beim Gedanken an sie verfiel er in eine Art Träumerei, aus der er nicht wieder erwachte. Nicht dass er an einem bestimmten Punkt das Bewusstsein verloren hätte; vielmehr sickerte das Bewusstsein im Laufe des Abends langsam aus ihm heraus. Jeder Freund, der ihn begrüßen kam, hob sein Glas, und Daniel tat ihm Bescheid. Der Alkohol rann ihm nicht in die Kehle, sondern schoss panikartig über seine Schleimhäute, brannte ihm in den Augenhöhlen und den eustachischen Röhren und drang ihm von dort direkt ins Gehirn. Sein Sehvermögen ließ nach. Das Plappern und Lärmen der Gesellschaft wiegten ihn sanft in den Schlaf.
    Die Stille weckte ihn. Die Stille und das Licht. Einen Moment lang bildete er sich ein, sie hätten ihn hinaus an die Sonne getragen. Aber über ihm waren mehrere Sonnen zu einer Konstellation angeordnet. Er versuchte zuerst den einen, dann den anderen Arm zu heben, um seine Augen gegen das Gleißen zu beschirmen, aber die Gliedmaßen rührten sich nicht. Auch seine Beine waren wie festgefroren.
    »Vielleicht bildet Ihr Euch ein, ihr erlebt gerade eine zerebrale Anomalie, eine Nahtod- oder gar Nachtod-Erfahrung«, sagte eine Stimme ruhig. Sie kam von ganz unten, zwischen Daniels Knien. »Und mehrere Erzengel hätten sich vor Euch aufgebaut und verbrennten Euch mit ihrem Strahlen die Augen. In diesem Falle wäre ich dann ein Schemen, ein armer grauer Geist, und das Schreien und Stöhnen, das Ihr von weit weg hört, wäre das Klagen anderer abgeschiedener Seelen, die in die Hölle befördert werden.«
    Hooke war in der Tat nur undeutlich zu erkennen, denn die Lichter waren hinter ihm. Er legte irgendwelche Instrumente und Werkzeuge auf einem Tisch zurecht, der vor den Stuhl gerückt worden war.
    Nun, da Daniel aufgehört hatte, in die hellen Lichter zu blicken, hatten sich seine Augen so weit angepasst, dass er erkennen konnte, was ihn festhielt: weiße Leinenkordel, meilenlang, um seine Arme und Beine geschlungen und geschickt zu einer Art maßgefertigtem Gewirk oder Netz verknüpft. Dies war eindeutig das Werk des peniblen Hooke, denn sogar Daniels Finger und Daumen waren einzeln, Knöchel um Knöchel, an die Armlehnen seines Stuhls geklöppelt, die so wuchtig waren wie die Balken einer Geschützlafette.
    Er dachte zurück an Epsom während des Pestjahrs, als Hooke eine Stunde lang in der Sonne zu sitzen und durch eine Linse einer Spinne zuzusehen pflegte, wie sie mit ihren Fadenwindungen eine Pferdebremse verschnürte.
    Das andere Detail, das ihm auffiel, war das Schimmern der kleinen Gerätschaften, die Hooke auf dem Tisch zurechtlegte. Zusätzlich zu den verschiedenen Vergrößerungsgläsern, die Hooke stets bei sich führte, war da noch die gekrümmte Sonde, die in die Harnröhre des Patienten eingeführt wurde, um den Stein zu finden und festzuhalten. Daneben lag die Lanzette, mit welcher der Einschnitt durch das Skrotum in die Blase vorgenommen wurde. Ferner ein Haken, um durch diese Öffnung zu greifen und den Stein herab- und zwischen den Hoden herauszuziehen, sowie ein Sortiment von Schabern unterschiedlicher Form und Größe zum Auskratzen der Blase und Sondieren der Harnleiter, um etwaige kleinere Steine, die dort im Entstehen begriffen sein mochten, zu finden und zu entfernen. Da war das Silberrohr, das in seiner Harnröhre verbleiben würde, damit der Schwall von Urin, Blut, Lymphe und Eiter nicht von der unvermeidlichen Schwellung zurückgehalten würde, und da war die feine Schafsdarmsaite, um ihn wieder zusammenzunähen, und die gebogenen Nadeln und Zangen, um sie durch sein Fleisch zu ziehen. Aus irgendeinem Grunde aber störte ihn der Anblick keines dieser Gegenstände so sehr wie die Waage, die am Ende des Tisches

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