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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Frage käme. Somit ging es bei dieser unangenehmen Sache, die James aus Frankreich mitgebracht hatte, in Wirklichkeit darum, ob das Haus Stuart überleben würde.
    Das wiederum warf eine faszinierende Nebenfrage auf. Warum hatte James, wo er doch ein ganzes Cottage voller Fellows der Royal Society zur Auswahl hatte, ausgerechnet mit dem einen zu reden beschlossen, der zufällig der Sohn eines Fanatikers war?
    »Das Ganze ist eine sensible Angelegenheit«, bemerkte der Herzog, »etwas von der Art, das die Ehre eines Mannes befleckt, wenn es herumerzählt wird.«
    Daniel übersetzte das unschwer wie folgt: Wenn Ihr es irgendwem erzählt, schicke ich jemanden vorbei, der Euch zum Duell fordert. Nicht, dass irgendwer überhaupt Notiz davon nehmen würde, wenn der Sohn von Drake den Vorwurf der moralischen Verworfenheit gegen den Herzog von York erhöbe. Drake tat dergleichen ohne Unterlass seit fünfzig Jahren. Und damit war Daniel die Strategie des Herzogs klar: Er hatte beschlossen, dass Daniel von seiner Syphilis erfahren sollte, denn bei dem Getöse von Verleumdungen, das Drake ständig produzierte, würde, falls Daniel so töricht wäre, Gerüchte zu verbreiten, kein Mensch sie hören. Sehr lange würde Daniel das ohnehin nicht tun können, ehe man ihn mit zahlreichen Degenstichen im Körper auf einem Feld außerhalb von London fände.
    »Ihr lasst es mich doch wissen, falls die Royal Society an dieser Front irgendwelche Erkenntnisse gewinnt, nicht wahr?«, sagte James und machte Anstalten zu gehen.
    »Damit Ihr die Information an Euren Freund weitergeben könnt? Aber gewiss«, sagte Daniel. Womit das Gespräch beendet war. Er kehrte in die Küche zurück, um sich eine Vorstellung zu verschaffen, wie lange das Experiment noch weitergehen sollte.
    Die Antwort: länger, als jeder von ihnen eigentlich wollte. Als sie fertig waren, sickerte schon Morgenlicht zu den Fenstern herein und vermittelte ihnen eine Ahnung davon, wie grässlich die Küche erst aussehen würde, wenn die Sonne richtig aufging. Von sich selbst entsetzt, erschüttert und moros, saß Hooke verkrümmt auf einem Stuhl, während Wilkins, vornübergebeugt, den Kopf auf eine blutverschmierte Faust stützte.
    Sie waren vorgeblich als Flüchtlinge vor dem Schwarzen Tod hierher gekommen, in Wirklichkeit aber flohen sie vor ihrer eigenen Unwissenheit – sie gierten nach Erkenntnis und glichen ausgehungerten Elendsgestalten, die in das Haus eines Lords eingebrochen waren und eine hemmungslose Fressorgie begonnen hatten, bei der sie neue Mahlzeiten hinunterschlangen, ehe sie die alten verdauen oder auch nur zerkauen konnten. Sie hatte den größten Teil eines Jahres gedauert, doch nun, während über dem zu Ende gegangenen Experiment zur künstlichen Atmung die Sonne aufging, saßen sie jeder für sich herum, stierten dumpf in die verwüstete Küche mit ihren überall auf dem Boden verstreuten Hunderippen, den riesigen Gläsern mit den darin konservierten Milzen und Gallenblasen, den auf Bretter genagelten oder auf Glasscheiben geklebten Exemplaren exotischer Parasiten, den auf dem Feuer blubbernden üblen Giften, und mit einem Mal verspürten sie einen überwältigenden Ekel vor sich selbst.
    Daniel hob die Überreste des Hundes auf – eine Schweinerei, aber das spielte kaum eine Rolle – man würde ohnehin alle ihre Kleider verbrennen müssen – und ging hinaus zu dem Friedhof auf der Ostseite des Cottage, wo die Überreste sämtlicher Versuche von Hooke und Wilkins verbrannt, vergraben oder zum Studium der spontanen Entstehung von Fliegen verwendet wurden. Ungeachtet dessen war die Luft hier draußen relativ rein und frisch. Nachdem er die Überreste des Hundes abgelegt hatte, ertappte sich Daniel dabei, dass er genau auf einen hell leuchtenden Planeten ein paar Grad über dem östlichen Horizont zuhielt, bei dem es sich nur um die Venus handeln konnte. Er ging immer weiter und ließ den Tau auf dem Gras das Blut von seinen Schuhen waschen. Im Dämmerlicht schimmerten die Felder rosig grün.
    Isaac hatte ihm einen Brief geschickt: »Brauche Hilfe betr. Venus-Beob. Bitte komm, wenn du kannst.« Damals hatte er sich gefragt, ob es sich um eine versteckte Mitteilung handelte. Doch als er dort auf dem von Tau versilberten Feld stand, mit dem Rücken zu dem Schlachthaus und vor sich nichts als den Morgenstern, fiel ihm wieder ein, was Isaac vor Jahren über die natürliche Harmonie zwischen der Kugelgestalt der Himmelskörper und der Kugelgestalt der Augen,

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