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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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der Begutachtung der Schnittwunde. »Geben Sie sich geschlagen?«
    Doch Montilla war weit davon entfernt, seine Niederlage einzugestehen.
    »Mag sein, dass ich mit dem Degen nicht weitermachen kann. Mit der Pistole aber schon«,forderte er Sebastián mit blutunterlaufenen Augen heraus. »Und da gibt es keine halben Sachen mehr.«
    Nicht einen Augenblick lang war Sebastián in den Sinn gekommen, ihr Ehrenhandel könnte weiter gehen als bis zur ersten blutenden Wunde, könnte zu einem Duell auf Leben und Tod werden. Entschieden schüttelte er den Kopf, ging zu seinem Umhang und warf ihn sich über.
    Doch der Marqués hatte sich bereits von seinem Sekundanten die Pistole geben lassen und stellte sich ihm in den Weg.
    »Entweder Sie nehmen die Forderung an oder ich schieße Sie auf der Stelle nieder.«
    So blieb Sebastiáns Sekundanten nichts anderes übrig, als die richtige Entfernung zu messen, die Waffe zu laden und mit der gegnerischen Seite die Reihenfolge auszulosen. Die geworfene Münze gewährte Montilla den ersten Schuss.
    Die beiden Kontrahenten stellten sich wieder auf. Es dauerte endlos lange, bis Montilla, ein Taschentuch um die zitternde rechte Hand gewickelt, abdrückte. Sebastián taumelte. Blut lief ihm über die Finger. Montilla hatte ihn getroffen.
    Doch die Kugel hatte nur leicht seinen Arm gestreift. Sein Sekundant verband ihn schnell, und nun war es an ihm zu schießen.
    Was sollte er tun? Er sah den Marqués vor sich, sein Gesicht war verzerrt. Sollte er den Erzrivalen wirklich wegen ein paar unflätiger, gegen ihn und seine Dame gerichteter Worte töten?
    Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann hob er die Pistole, und als er auf Montilla zielte, bedeckte dieser sein Gesicht mit den Händen. Sekundanten und Schiedsrichter hielten den Atem an; warum brauchte der Ingenieur so lange, um abzudrücken?
    |25| Montilla würde ihm das, was er zu tun gedachte, niemals verzeihen.
    Er senkte die Waffe, schoss auf den Boden, warf die Pistole in einem hohen Bogen hinter sich ins Stroh und eilte davon.

|26| Cañizares
    S ebastián! Gott sei Dank!« Kaum hatte Frasquita ihn am Eingang erspäht, löste sie sich aus der Gruppe um Floridablanca und Boncalcio und kam auf ihn zugeeilt.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    Beruhigend nickte er ihr zu und zog die Nachricht für Cañizares aus der Rocktasche.
    »Ich muss die Botschaft unbedingt noch in der Pause zum Direktor bringen. Ich bin gleich zurück.«
    Auf dem Weg zu den Künstlergarderoben streifte sein Blick kurz die Mestizin, der der erste Minister wohl gerade eine lustige Geschichte erzählte. Doch sie wirkte unruhig und zerstreut. Wo war der Indio, der ihr zuvor nicht von der Seite gewichen war?
     
    »O nein!«, rief Sebastián aus und schloss die Augen. Ich hätte niemals hierher zurückkommen dürfen, dachte er. Für einen Moment blitzte das Bild einer jungen Frau in ihm auf, die ihn voller Schmerz anblickte. Kreidebleich öffnete er die Augen und wandte sich wieder der makabren Szene zu, die sich ihm bot, als er die Tür zur Garderobe des Theaterdirektors geöffnet hatte. Von der Decke baumelte mit gebrochenem Genick,wie eine Strohpuppe   – Cañizares, der Direktor der Theaterkompanie.
    Hinter ihm drängten sich jetzt die als Indios und Konquistadoren verkleideten Komödianten in den Raum, die durch Sebastiáns Schreckensschrei alarmiert worden waren. Der grauenhafte Anblick ließ auch ihnen das Blut in den Adern erstarren. Das Seil war mehrmals um Cañizares’ Kopf geschlungen worden, sodass |27| die Kinnlade völlig ausgerenkt war und die Augen hervorquollen. Ein schrecklicher Tod ohne jegliche Würde.
    Sicher würde gleich die Wache erscheinen. Zusammen mit drei Komödianten nahm er den Erhängten ab. Der Strick um den Hals wies einen seltsamen Knoten auf. Er hatte vier Schlaufen, die wie die ausgebreiteten Flügel eines Schmetterlings aussahen, und an den unteren beiden hingen zwei Stoffsäckchen.
    Sebastián kniete neben dem Leichnam nieder und löste eines davon. Es enthielt ein weißes Pulver. Er roch daran und ließ es durch seine Finger rinnen. Was war das? Kalk? Das andere gab weniger Anlass zu Zweifeln: Darin war eine Handvoll dicker Bohnen.
    In diesem Augenblick hörte man im Flur die Rufe der Wache, und kurz darauf erschien Onofre Boncalcio in der Tür.
    Als dieser den Ingenieur neben dem Toten kauern sah, stutzte er, doch dann fiel sein Blick auf die beiden Säckchen, deren Inhalt Sebastián auf den Boden geschüttet hatte,

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