Quipu
im Schlepptau, versuchte Sebastián durch die Gasse zu eilen, die sich so wundersam vor ihm aufgetan |30| hatte, als eine Kompanie Soldaten auf dem Platz aufmarschierte und dahinter das Klingeln eines Glöckchens erklang: Unter einem Baldachin, getragen von vier Ministranten, schritt ein Pfarrer mit einer Monstranz einher, vorneweg der Sakristan mit dem Glöckchen.
Sebastián kniete nun ebenfalls nieder, doch dann blieb ihm fast das Herz stehen. Waren sie auf dem Weg zu seinem Vater? Brachten sie ihm die Letzte Ölung? Aus seinem jungen Diener war kein weiteres Wort herauszubekommen gewesen, was im Palais passiert war, das Entsetzen schien ihm die Sprache verschlagen zu haben.
Er sprang auf und wollte wie der Blitz hinter ihnen her, doch hatte er nicht mit dem Eifer des Unteroffiziers gerechnet, der seine Soldaten beidseits der Gasse aufgestellt hatte und ihnen nun befahl, ihn zu ergreifen.
»Was geht hier vor?«, erscholl da von hinten eine Stimme.
»Dieser Herr hier«, erklärte der Unteroffizier dem herbeieilenden Major, »hat sich vom Boden erhoben, als das Allerheiligste vorüberzog.«
Im selben Moment atmete Sebastián auf, da er sah, dass der Pfarrer die Richtung zum Theater eingeschlagen hatte. Er deutete auf das Palais.
»Entschuldigen Sie, Major, aber unser Majordomus hat mir ausrichten lassen, dass zu Hause etwas passiert sei, sodass ich dachte, Hochwürden würde die Sterbesakramente dahin tragen.«
»Lasst ihn los«, befahl der Major seinem Untergebenen und nahm Sebastián beiseite. »Du hast dich überhaupt nicht verändert, Sebastián«, sagte er mit einem verschwörerischen Augenzwinkern. »Kennst du mich noch? Wir waren Kameraden bei den Jesuiten.«
Mit ein paar entschuldigenden Worten verabschiedete sich der Ingenieur und überquerte hastig den Platz. So sah er den Maskierten nicht, der in der Dunkelheit nahe dem Portal lauerte. Unter einem grünen Cape trug er das Kostüm eines Skeletts. Sein Gesicht hatte er hinter einer Totenkopfmaske verborgen.
Als Sebastián atemlos in den Hausflur trat, kam ihm Moncho, der Majordomus, schon entgegen. Er war aschfahl.
|31| »Hier … hier entlang, Señor«, stotterte er und eilte ihm voraus. »Er ist im roten Salon. Wir mussten die Tür aufstemmen, weil er auf unsere Rufe nicht geantwortet hat.«
Der rote Salon: Der früher zur Küche gehörende Raum hatte ihn schon in seiner Kindheit mit Schaudern erfüllt. Auf Geheiß seiner Mutter hatte der Koch dort immer die Hühner und Gänse geschlachtet. Noch heute tauchte er in Sebastiáns schlimmsten Träumen auf,immer dann,wenn er vom Tod seiner Mutter träumte. Sie war bei einem Kutschenunfall ums Leben gekommen; sein Vater hatte überlebt, doch war er seither an den Rollstuhl gefesselt. Daraufhin hatten die Dienstboten den Raum rot gestrichen, damit man die Blutflecke der getöteten Tiere nicht sah, und ihn als Arbeitszimmer eingerichtet, um dem Behinderten die Treppen zu ersparen.
Der rote Salon machte seiner bedrückenden Geschichte erneut alle Ehre. In einer Blutlache lag, von einer Lampe angestrahlt, die Leiche seines Vaters.
|32| Die Botschaft
J uan de Fonsecas Mund war mit einem grünen Stofffetzen geknebelt. Sein Gesicht war aschfahl, seine schreckgeweiteten Augen traten glasig hervor, und neben dem Kopf lag seine rechte Hand – abgehackt mit einem gezielten Schlag.
»Mein Gott!«, entfuhr es Sebastián. Er begann am ganzen Körper zu zittern. Bei seiner Rückkehr aus Zaragoza hatte er gespürt, dass den Vater etwas sehr ängstigte, aber er hatte ihn nicht drängen wollen. Hätte ich es doch nur getan, warf er sich nun vor.
Er wandte sich an die Dienstboten, die schreckensstarr in der Tür standen, und bat sie mit tränenfeuchten Augen, ihn mit dem Toten allein zu lassen.
Unendlich lange saß er danach in einem Sessel, die Augen hinauf an die Decke gerichtet, um den Toten nicht sehen zu müssen, und versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Es schmerzte ihn, dass sein armer Vater einen so schrecklichen Tod gefunden hatte, und er machte sich schwere Vorwürfe, ihn all die Jahre allein gelassen und ihm nicht geholfen zu haben, mit der schrecklichen Einsamkeit zurechtzukommen. Nach dem Tod von Sebastiáns Mutter hatte sich Juan de Fonseca wie ein Besessener in seine Bücher vertieft, wodurch er noch wortkarger geworden war, und die ängstliche Verzagtheit jener Menschen entwickelt hatte, die Augen und Stimme nur noch in den eigenen vier Wänden erheben … Da fiel ihm
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