Quipu
und er wurde leichenblass. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.
»Du hast hier nichts zu suchen, Sebastián«, sagte Boncalcio in einem Ton, der seine Nervosität verriet, und gab der Wache dann einen Wink, die Garderobe unverzüglich zu räumen.
Resolut drängten zwei Wachsoldaten Sebastián und die übrigen Komödianten hinaus. Im Flur fiel ihm ein, dass er den Brief seines Vaters noch in der Tasche hatte. Schnell drückte er sich an die Wand, um die anderen durchzulassen, und brach das Siegel auf. Die Botschaft war kurz: »Cañizares, nimm dich in Acht, wenn eine Mestizin aus Peru der Vorstellung beiwohnt.«
Sebastián erschrak. Was hatte Juan de Fonseca mit dem Ganzen zu tun? Hatte er geahnt, dass der Theaterdirektor in Todesgefahr schwebte?
Im Foyer herrschte große Aufregung. Floridablanca und die Mestizin waren verschwunden. Die Theaterbesucher umringten die Schauspieler, um Näheres zu erfahren. Und auch Frasquita wollte wissen, was vorgefallen war. Er ersparte ihr die makabersten Einzelheiten.
»O Gott!«, rief sie aus. »Du hättest nicht herkommen dürfen.«
|28| Sie verstanden sich ohne große Worte. Sie wussten beide, was sie meinte: jenen anderen Tod in diesem Theater, den der wunderschönen María Ignacia, genannt
La Chispa
, Sängerin der beliebten Opera buffa. Sie hatte Sebastián einst den Kopf verdreht, und er war ihr mit Haut und Haaren verfallen. Sie war seine erste große Liebe gewesen, doch für einen Mann von adliger Herkunft ziemte sich eine solche Verbindung nicht, hatte ihm sein Vater zu verstehen gegeben, und sie hätte sich auch verheerend auf seine militärische Laufbahn ausgewirkt. Und so hatte María Ignacia, von Liebeskummer und Gram verzehrt, ihrem Leben ein Ende gesetzt, vor seinen Augen, mitten in einer Vorstellung.
Damals war Frasquita in Sebastiáns Leben getreten und hatte verhindert, dass er sich der Verzweiflung hingab, indem sie ihn zu ihrem Galan erkor. Sie gab sich leichtfertiger, als sie in Wirklichkeit war, zwang ihn, andere Frauen zu besuchen, warf ihm so appetitliche Köder hin, die jeden Mann seines Standes und Alters glücklich gemacht hätten. Doch er war keiner seelischen Regung mehr fähig, alles in ihm war nur noch düster und konfus. Anfangs mochte dies ein Schutz gewesen sein, doch während er sich mit zerstörerischem Perfektionismus in seine Arbeit stürzte, vertrocknete er innerlich. Was vielleicht auch eine Folge seiner Erziehung bei den Jesuiten war, hatte die Gesellschaft Jesu ihm doch ein starkes Verantwortungsbewusstsein und Schuldgefühl eingeimpft.
»Ich muss sofort zu meinem Vater«, sagte Sebastián beherrscht. »Kannst du allein nach Hause fahren?«
»Meine Kutsche steht vor der Tür. Mach dir keine Sorgen.«
Doch ein Unglück kommt selten allein. Als Sebastián kurz darauf auf die Straße trat, kam ein Dienstbote seines Vaters auf ihn zugestürmt.
»Señor!« Der Junge rang nach Atem. »Moncho … schickt mich … Sie sollen sofort kommen … Es ist etwas Schreckliches passiert.«
|29| Posse
D as Palais der Fonsecas lag nicht weit entfernt, doch kam ihm der Weg dorthin endlos vor. Es war Karneval, und überall herrschte ein lebhaftes, buntes Treiben. So gut sie konnten, versuchten Sebastián und sein junger Diener, den Maskierten auszuweichen, doch verstopften unzählige Landauer und andere Kutschen die Straßen, und die Kutscher fluchten auf ihren Böcken, weil sie in den Trauben von lärmenden Mohren, Indios und Gecken immer wieder stecken blieben.
Auf dem Platz, an dem sich das Palais der Fonsecas befand, feuerte eine begeisterte Menschenmenge gerade einige Spaßmacher an, die auf einem Podest eine derbe Posse aufführten. Dicht an dicht standen die Schaulustigen und hatten nur Augen für einen Teufel, der kreischende Kinder mit einer Schweinsblase verfolgte und jungen Mädchen die Röcke lupfte, sodass ein Durchkommen unmöglich war. Bis von einer Seitenstraße aus dumpfe Trommelschläge ertönten, die immer lauter wurden.
»Macht Platz, macht Platz!«, raunte es auf einmal um Sebastián herum, und wie durch ein Wunder verebbte der Lärm, die Klappern, Ratschen und Schellen verstummten, und die Menschenflut teilte sich wie die Wasser des Roten Meeres beim Durchzug der Israeliten. Wer eine Kopfbedeckung trug, nahm sie ab und kniete auf dem schlammigen Boden nieder, allen voran der als Teufel verkleidete Possenreißer, der sich bekreuzigte, an die Brust schlug und ein Gebet zu murmeln begann.
Den kreideweißen Jungen
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