Quitt
Hier endlich fanden sie Waldesschatten, und als man aus dem Quell getrunken und sich auf der Bank, an der anderen Seite des Weges, eine kleine Weile geruht hatte, nahm man die Leiterbahre wieder auf und schritt das steile Gehänge weiter hinab. Die mit jeder Viertelstunde wachsende Glut erschwerte den Abstieg, aber mit Hilfe häufigen Trägerwechsels war es doch möglich, in einem ziemlich raschen Marschtempo zu bleiben, und ehe noch das Kapellchen Mittag läutete, passierte man das Gatter und trat auf das mit Kusseln besetzte Waldvorland hinaus, darauf Lehnert, zwei Tage zuvor, den Schulkindern begegnet war und in ihren Gesang mit eingestimmt hatte. Die Straße lief, von hier aus, beinah geradlinig auf die Försterei zu, da man aber der armen Frau den Toten nicht unmittelbar vor Gesicht führen, sie vielmehr erst vorbereiten wollte, so bog man links in einen in mäßiger Schrägung wieder ansteigenden Querweg ein, der sich schließlich bis auf die hochgelegene Krummhübler Chaussee hinaufschlängelte. Die Stelle, wo der Querweg die Chaussee traf, hieß »der goldene Frieden« und war ein hochgelegener Punkt, von dem aus man nicht nur das langgestreckte Dorf Krummhübel überblicken, sondern auch, auf einem mäßig hohen Vorsprung, den alten Gerichtskretscham deutlich erkennen konnte, zu dessen Häupten eben die Mittagssonne flimmerte.
Das
war das Ziel. Dort sollte der Tote zunächst niedergelegt und über alles Weitere befunden werden.
Eine Viertelstunde später hatte man den Kretscham erreicht, aber nicht mehr allein. Alles, was in dem Oberdorfe wohnte, hatte sich angeschlossen und stand nun draußen und wartete der Dinge, die kommen würden. Am zahlreichsten waren natürlich die Wolfshauer erschienen, unter ihnen auch Lehnert. Er begrüßte diesen und jenen, und wiewohl ihn Blicke trafen, aus denen er sehr wohl einen Verdacht herauslesen konnte, so war doch niemand da, der ihm Wort und Handschlag versagt hätte. Manche traten freilich beiseit, aber mehr, um untereinander ihre Zustimmung zu dem Geschehenen als ihren Abscheu davor auszusprechen.
»Er hat einen schweren Tod gehabt.«
»Und
wir
vorher ein schweres Leben.«
Gleich daneben stand eine zweite Gruppe, die noch leiser sprach.
»Wer's ihm nur gegeben hat?«
»
Wer
? Das is gleich. Ob sie's ihm beweisen können, das is die Frage.«
Drinnen hatte man mittlerweile den Toten auf eine breite Tischplatte gelegt und ihn, bis hoch hinauf, mit neu abgebrochenem Gezweige bedeckt; nur Brust und Kopf waren frei. Klose trat heran und hatte vor, mit der Protokollaufnahme zu beginnen. Aber der Marsch im Sonnenbrand war doch so beschwerlich gewesen, daß er davon Abstand nehmen und nicht bloß um der andern, sondern auch um seiner selbst willen ein kurzes Ausruhen in einer kühlen schattigen Nebenstube vorschlagen mußte, welche Pause dann freilich von der draußen harrenden Menge sofort dazu benutzt wurde, bis in den bis dahin abgesperrten Saal vorzudringen. Auch Lehnert war unter denen, die sich herzudrängten, blieb aber in Nähe der Tür und mied es, vor das Angesicht des Toten zu kommen.
In der kühlen schattigen Nebenstube hatte sich inzwischen alles zusammengefunden, was zur Obrigkeit gehörte, Fragen und Vermutungen aller Art, wie sich denken läßt, waren ausgetauscht worden, und als schließlich auch einige Gerichtspersonen von Arnsdorf und Giersdorf her erschienen waren, trat Klose von der Nebenstube her wieder in den Saal und sagte: »Wir wollen nun anfangen. Ich werde Fragen stellen und drüber hinsehen, daß hier ihrer viele sind, die besser draußen wären und sich geduldet und abgewartet hätten, ob wir ihrer Aussage vielleicht bedürfen werden. Zunächst aber geben wir dem Toten das Wort. Sein Blut verklagt seinen Mörder. Er hat aber auch gesprochen, als er noch bei Leben war, und seine letzten Worte halte ich hier in Händen.«
Und der alte Gerichtsmann, als er dies sagte, zog ein Notizbuch aus der Tasche, das er unmittelbar nach Auffindung des Toten zu sich gesteckt und gleich danach, am ersten Rastplatz schon, einer flüchtigen Einsicht unterzogen hatte.
»
Dies
ist Opitz' Notizbuch«, fuhr er fort. »Als Opitz wußte, daß er in aller Einsamkeit sterben müsse, hat er mit schwerer Hand seinen Letzten Willen hier eingeschrieben. Alles nur kurz und abgerissen und Blutstropfen dazwischen. Und ich werde nun vorlesen, was er geschrieben hat.«
Alles drängte bei diesen Worten näher, und die zuhinterst, standen, hoben sich auf die
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