Quitt
(bei dreizehn Jahren etwas vorzeitig) als eine mit einem Riemen festgeschnallte Außentournure trug – verloren hatte. Seitens des bald nach den Espes auf der Annakapelle erscheinenden und daselbst seinen Nachmittagskaffee nehmenden Assessors war unschwer in Erfahrung gebracht worden, wem das Verlorengegangene gehöre (waren doch »Rechnungsrats« so gut wie Stammgäste dort oben), und am nächsten Vormittage schon war, in weiterer natürlicher Entwicklung der Dinge, das Plaid in der Espeschen Wohnung abgegeben worden, zugleich mit einer großen goldgeränderten Karte, darauf Stand und Name lautete:
Dr. Sophus Unverdorben
Kammergerichtsassessor und Lieutenant der Reserve
im 2. Garde-Grenadier-Regiment Kaiser Franz.
Berlin W. Lützow-Ufer 7a.
Wie sich denken läßt, wurde das Wiedereintreffen des von dem etwas rätselhaften »Onkel« herrührenden rot und schwarz karierten Plaids – der Onkel beschenkte seine Nichten regelmäßig zu Weihnachten und Kaisers Geburtstag – von der ganzen rechnungsrätlichen Familie mit aufrichtiger Freude begrüßt, aber soweit Espe
persönlich
in Betracht kam, verschwand diese Freude doch neben einem sozusagen auf staatlicher Grundlage ruhenden Wohlgefühl, womit der Anblick einer so korrekt abgefaßten Karte den Rechnungsrat erfüllt hatte.
»Seht, Kinder,
so
muß dergleichen aussehen«, waren seine mehr als einmal wiederholten Worte, während die Rätin ihrerseits sich ausschließlich mit Feststellung der Personalfrage beschäftigte. Wer war dieser Assessor Unverdorben? Alle, die beim Abstieg von der Annakapelle ihnen begegnet waren, wurden durchgenommen, und für Geraldine stand es alsbald fest, daß es der distinguierte Herr mit dem aufgesetzten Schnurrbart und dem schwarzen, etwas gekräuselten Haar gewesen sein müsse, der so verbindlich gegrüßt und sie, so flüchtig die Begegnung auch gewesen sei, doch ganz eminent an Hendrichs erinnert habe. Die Rätin führte dann diese Lieblingserinnerung, die sich, wie selbst Selma schon wußte, bei jeder mit einem brünetten Herrn gehabten Begegnung unweigerlich wiederholte, des weiteren aus und schloß damit, daß Espe die Pflicht habe, den Assessor behufs Dankeserstattung aufzusuchen, und zwar heute noch, denn es gäbe jetzt so viele, die bloß Passanten wären und nur einen Tag blieben. Espe schien anfänglich das Rangverhältnis zwischen Rechnungsrat und Assessor abwägen und danach langsam und mit einer sich und seiner Stellung schuldigen Reserve seine Entscheidung treffen zu wollen, gab aber schließlich doch nach und versprach, am Nachmittag um die fünfte Stunde nach dem Assessor fragen und, wenn er noch da sei, sofort seine Visite bei demselben machen zu wollen.
Damit war die Rätin denn auch einverstanden, nicht ahnend, daß das Schicksal eine viel schnellere Lösung der Frage beschlossen hatte. Denn kaum daß die Mitglieder der Familie nach Zurücklegung des kurzen Weges vom Tannicht (wo sie wohnten) bis zum Exnerschen Gasthaus an dem ein für allemal für sie reservierten Ecktisch glücklich placiert waren, als auch schon ein Herr auf sie zuschritt, der sich, während er eben noch die Lachlust aller weiblichen Espes wachgerufen hatte, gleich danach als Assessor Unverdorben vorstellte. Die Verlogenheit konnte nicht wohl größer sein, und der einzige, der in dieser schwierigen Lage volle Contenance bewahrte, war Espe selbst. Er bat den Assessor, Platz nehmen zu wollen, und sprach in der ihm eigenen würdigen und gewählten Weise den Dank für soviel Liebenswürdigkeit aus, denn von der Annakapelle bis nach Krummhübel hinunter sei doch ein ziemlich weiter Weg, und die ganze Zeit über ein rotes Plaid zu tragen oder doch wenigstens ein Plaid mit eingemusterten roten Karos...
Er stockte hier und brach ab, weil er plötzlich fühlen mochte, daß ihm das ewige und noch dazu ganz nutzlose Hervorheben des Rot und wieder Rot als etwas politisch Absichtliches gedeutet werden könne. Dies war ihm aber fatal, denn Espe war ein korrekter Mann und sehr ängstlich dazu.
Die Rätin ihrerseits hatte, während dieses Gespräch andauerte, sowohl Lachen wie Verlegenheit überwunden, was nicht wundernehmen durfte, weil sie mittlerweile Zeit gefunden hatte, das, was den Assessor in allem übrigen auszeichnete, sowohl zu bemerken wie zu würdigen. Und zwar lag dies ihn Auszeichnende nach einer ganz bestimmten und den meisten Menschen immer wieder imponierenden Seite hin, nach der Seite der tadellosesten weißen Wäsche. Beide,
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