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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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ihrem Mottenpelzbären plötzlich auf den Exnerschen Staketenzaun, also mitten in die Krummhübler Zaungäste hinein, was, als diese laut aufschrien, das Entzücken aller derer noch steigerte, die, weil zurückstehend, diesem unerwarteten Überfall entgangen waren.
    Jung und alt waren erheitert, nur Espe konnte dergleichen nicht ertragen. Was sich allen andern einfach als Mummenschanz, als ein Stück poetischer, mit dem Zauber des Fremdartigen ausgestatteter Welt darstellte, war ihm nur eine Welt der Unordnung, der Unsitte, der Faulenzerei, durchsetzt mit Keimen, aus denen allerlei Verbrechen über kurz oder lang aufgehen müsse. »Selma... Frida!« rief er zwei-, dreimal, ohne daß die Kinder hörten, und als die darüber mehr und mehr in Verlegenheit geratende Rätin ihm schließlich zuflüsterte, daß er doch auf die Nachbartische Rücksicht nehmen und sich seiner Erziehungsphilistereien enthalten möge, wurd er unwirsch und beinah heftig, wie immer, wenn das Kapitel der Ordnung in Frage kam, und mit dem Zeigefinger auf den Tisch schlagend (er traf leider die Gabel, die nun in einem Bogen aufflog und dann erst zur Erde fiel), fuhr er in spitzem Tone fort: »Liebe Geraldine, das sind Prinzipienfragen, und Prinzipienfragen sind nicht deine Stärke...«
    »Nein«, sagte diese.
    »Nun wohl. Es gibt aber Prinzipien, und es gibt Erfahrungssätze. Was da herumzieht – den großen Bären nehm ich aus; der Bär ist der einzig Anständige von der Gesellschaft –, was da herumzieht, sag ich, ist Gesindel, und ich mag nicht alles auf der Seele haben...«
    »... und ich noch weniger auf dem Körper«, ergänzte Sophus...
    »... was sich da drüben bei dem seinwollenden Ehepaare, das doch natürlich keines ist, vorfindet...«
    »Es gibt so viele Ehepaare, die keine sind«, sagte Geraldine gereizt. »Ich bitte dich, Espe, wenn du nur nicht immer verbessern und die Menschen so vortrefflich machen wolltest, wie du bist. Du verlangst lauter Espes. Das hilft dir aber nicht. Der liebe Gott hat es anders gefügt, und die Menschen gehen nun mal ihrer Lust und ihrem Vergnügen nach.«
    »Meinetwegen. Ich will sie dabei nicht stören, und ich bin selber sogar, was du vielleicht nicht glauben wirst, für Lust und Vergnügen, wenn das alles eine zulässige Basis hat. Aber dies, was wir hier vor uns haben, ist Verbrechervolk und Mörderbande. Das zieht nun bis auf die Koppe hinauf, und morgen ist es in Böhmen, und in vier Wochen ist es in Galizien oder in Ungarn.«
    »Oder wohl gar auf der Hohen Tatra«, warf Unverdorben ein, und Geraldine verfärbte sich sofort und schoß einen erzürnten Blick auf den Sprecher... Aber es dauerte nicht lange, ja, die böse Miene ging sogar rasch in ein Lächeln über, als ihr der Gedanke kam, daß dies alles der Ausdruck einer aufkeimenden Eifersucht sein könne.
    »In Galizien oder in Ungarn«, nahm Espe seine Rede wieder auf, »oder meinetwegen auch auf der Hohen Tatra. Und dann sind es nicht mehr zwei, sondern mutmaßlich drei, und der dritte, der sich dann eingefunden hat und sich auf falsche Bärte versteht und es gewiß nicht unter einem anderthalb Fuß langen Sappeurbart tut und der dann vielleicht abwechselnd mit der schwarzen Hexe da den Leierkasten dreht oder auch an der Beckenstrippe zieht – dieser dritte Galgenvogel ist dann unser Freund Lehnert Menz... Ein fixer Kerl, gewiß, und das Weibervolk ist um ihn rum und starrt ihn an und bestaunt ihn, weil er einen so schönen Bart hat, falsch oder nicht. Und ein Glück für ihn, daß er ihn hat, ich meine den falschen, der ihn unkenntlich macht und ihn den Händen der Gerechtigkeit entzieht... Aber ich hoffe, sie fassen ihn noch.«
    »Und ich hoffe, sie fassen ihn nicht«, sagte Sophus.
    »Sie belieben zu scherzen...«
    »Ich glaube, der Herr Assessor spricht in vollem Ernst«, triumphierte Geraldine.
    »Vollkommen«, bestätigte dieser. »Ich bin kein Anhänge der Abschreckungstheorie. Die Leute von Fach, Doktoren und Gerichtsleute, glauben selten an die gäng und gäben Heilmittel, auch wenn sie gezwungen sind, sie zu verordnen. Wenn sie den Lehnert fassen, so kommt er ein halbes Leben lang ins Zuchthaus und zupft Lumpen und wird selber ein Lump. Wenn er aber, wie der Herr Rat eben zu bemerken die Güte hatte, den Händen der Gerechtigkeit entschlüpft, so wird er ein Mohrenkönig oder ein chinesischer Admiral oder ein Robinson. Und Leute, die das Zeug dazu haben, die sind mir immer zu schade, um hinter Schloß und Riegel zu verkommen, bloß

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