Quitt
Staaten voraushabe. Denn worauf es allezeit ankomme, das seien die Fundamente, nicht aber die Krönung des Gebäudes – ein Ausdruck, bei dem die Rätin immer in ähnlicher Weise zusammenzuckte wie Espe bei dem Worte »subaltern«.
Dies kleine Rencontre, wenn man der Szene diesen Namen überhaupt geben durfte, hatte gleich in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft stattgefunden. Seitdem war längst wieder Friede geschlossen, und die Rätin, wenn sie mit Espe spätabends im Fenster ihrer kleinen Wohnung lag und, sentimental angeflogen, nach den Sternen hinaufsah und an die Hohe Tatra dachte, pflegte dann wohl zu sagen: »Ja, Lieutenant Kowalski. Denken muß ich seiner. Er war, wenn er aus den Redensarten heraus war, eigentlich gemütlicher und ungenierter als Unverdorben, ja fast könnte man sagen, zu gemütlich. Aber Unverdorben ist ihm doch sittlich überlegen und hat es nicht bloß in seinem Namen, wiewohl der Name auch viel bedeutet, sondern ist wirklich ein höchst anständiger Mann.«
Espe teilte diese Meinung vollkommen und erging sich in Lobsprüchen; das eigentlichste Bindeglied in dem freundschaftlichen Verkehr beider Parteien blieb aber doch Selma, die seitens des Assessors ganz als Kind und Backfisch und doch zugleich mit sichtlicher Vorliebe behandelt wurde, was die Rätin Mal auf Mal mit einem auf Espe gerichteten und nicht mißzuverstehenden Blick der Überlegenheit und Siegeszuversicht begleitete. »Du siehst, ich werde recht behalten.«
Solche Blicke waren auch heute, gleich zu Beginn der Mahlzeit, über den Tisch geflogen, denn man hatte, wie herkömmlich, gemeinschaftlich diniert, was man so in Sommerfrischen dinieren nennt, und eben erschien wieder die hübsche Marie mit dem großen Tablett, um die Kalbsbratenreste samt einigen übriggebliebenen Kartoffeln in der Schale abzuräumen, blauschalige, von denen der Rechnungsrat nicht mit Unrecht bemerkte, daß sie mehr durch ihre Farbe wie durch sonstige Vorzüge wirkten, als sich das seit Minuten um Opitz und seinen mutmaßlichen Mörder drehende Tischgespräch plötzlich unterbrochen sah, und zwar durch Selma und Frida, die mit dem Jubelrufe »Sie kommen« auf den Eßtisch zurückstürzten. Wer diese »sie« waren, wußte zunächst niemand zu sagen, aber im nächsten Augenblick gab ein seltsames Trommeln und Pfeifen jede wünschenswerte Aufklärung. Unter Vorantritt einer überaus zahlreichen Dorfschuljugend, in die sich, allen Residenzhochmut und alle Standesunterschiede vergessend, auch kleine Berlinerinnen mit Kiepenhüten und roten Jacketts gemischt hatten, erschien ein dunkeläugiger Italiener, zwei Bären hinter sich, von denen der eine mit seinem wie von Motten zerfressenen Pelz nur noch als Tummelplatz für zwei blaujackige Affen diente, während unmittelbar daneben ein großes wohlkonditioniertes Prachtexemplar, der unzweifelhafte Held der Kavalkade wie der ganzen Situation, einhertrottete. Zwischen den beiden Bären aber, und für die tanz- und musiklustige Jugend von annähernd gleichem Interesse, wurde man eines auf einem zweiräderigen Karren ruhenden mächtigen Leierkastens gewahr, neben dem eine phantastisch gekleidete schwarze Person einherschritt. Einen Augenblick schienen Selma und Frida von der Angst erfüllt, den Zug an dem Exnerschen Lokal, als einem zu vornehmen, vorüberziehen zu sehen, dieser Angst jedoch machte der Abruzzenmann ein rasches Ende, denn kaum war er bis in die Höhe des gerade lebhaft plätschernden Springbrunnens gekommen, als er auch schon anhielt und tambourmajorartig mit seiner Pickelflöte ein Zeichen gab, auf das hin der Musterbär sich erhob und, einen Stock über Hals und Rücken, seinen Tanz begann. Seine glänzende Leistung würde allein schon genügt haben, eine Welt von Entzücken wachzurufen, aber wer beschreibt den Jubel aller und ganz besonders der Espeschen Mädchen, als eben jetzt das mit allerlei roten Tüchern drapierte Zigeunerweib die Leierkastenkurbel zu drehen und dem Prachtbären – für den Trommel und Pfeife ganz augenscheinlich als nicht gut genug erachtet worden waren – zum weiteren Tanz aufzuspielen begann. Dazu kam noch, daß der Leierkasten selbst keine gewöhnliche Drehorgel, sondern ein höheres Kunstinstrument mit Janitscharenmusik war, dessen Becken und Pauke, ja selbst Trompete durch Strippeziehen und eine spinnradähnliche Tretvorrichtung in beständiger Aktion erhalten wurden. Und damit nicht genug, sprangen in eben diesem Augenblick auch noch die beiden Affen von
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