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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Rat und Rätin, hielten auch auf weiße Wäsche, sie von Sauberkeits, er von Ordnungs wegen, aber was waren ihre vereinten Anstrengungen auf diesem Gebiete neben einem Manne wie Unverdorben. Und neben dem allen her lief die Betrachtung: So ganz zweifelsohne, wie dieser Piquérock war, war er selber, und unwillkürlich wiederholte sich Geraldine den Inhalt seiner bis dahin nicht genug gewürdigten Visitenkarte, ganz besonders aber die Schlußzeile: »... im 2. Garde-Grenadier-Regiment Kaiser Franz.« Selbst die Kaninchenaugen hörten auf, ihr zu mißfallen, sahen sie doch mit einer merkwürdigen Mischung von Klugheit und Selbstbewußtsein und dazu mit einem Anfluge von Ironie in die Welt. Geraldine verstand sich aus zurückliegenden Tagen her auf feine Leute, und kein Zweifel, der Assessor gehörte dieser Gruppe zu.
    Unverdorben blieb bei Gelegenheit dieser ersten Vorstellung nur etwa zehn Minuten, aber diese zehn Minuten hatten doch ausgereicht, ein vorzügliches Verhältnis herzustellen. Espe war einfach entzückt, die Rätin war es beinah, und selbst Selma versicherte, sie begriffe nicht, wie sie habe lachen können, eine Bemerkung, der sie, mit einer ihr kleidenden Wichtigkeit, hinzusetzte, sie würde sich von Stund an nicht genieren, unmittelbar an seiner Seite durch ganz Krummhübel zu gehen. Und wenn es sein müsse, durchs Leben.
    »Selma, sprich nicht so!« bemerkte tadelnd Espe. »Das ist über deine Jahre.« Die Rätin aber sagte: »Espe, das verstehst du nicht! Selma hat ganz recht; sie hat sich, um eines Höheren willen, in ihrem ersten Gefühl überwinden gelernt, und darauf kommt es an. Formen entscheiden.«
    Espe wiegte den Kopf, was ebenso Zustimmung wie Zweifel ausdrücken konnte.
    Von jener ersten Begegnung an sahen sich Espes und Unverdorben täglich, wobei sich des letzteren Verhältnis zur Rätin immer intimer gestaltete, trotzdem er ihr, darüber war kein Zweifel, den auf der Hohen Tatra weilenden Kowalski nicht voll ersetzen konnte. Sie fühlte das namentlich an einem gewitterschwülen Tage, wo eine an sie gerichtete Hotelpostkarte mit aufgedruckter Landschaft (Tannen inmitten von Burgtrümmern) eintraf, darauf nichts stand als »Eljen Geraldine« und darunter in geschnörkelter altdeutscher Schrift: »Ein Fichtenbaum steht einsam...« Die Rätin liebte dergleichen Dunkelheiten, besonders wenn sie sich in poetischer Geheimsprache gaben, andererseits aber – und das sorgte für Balancierung dessen, was dem Assessor fehlen mochte – war sie zärtliche Mutter und als solche bei jenem Lebensabschnitt angelangt, wo die hinsterbende »große Passion«, ohne übrigens ganz zu schweigen, in der verklärten Gestalt einer umschauhaltenden Mutterliebe wieder aufzuwachen pflegt. Selma freilich war noch ein halbes Kind, aber was tat das? Es war ja keine Sache von heut auf morgen, und es verdroß Geraldinen ernstlich, ihren ewig rechnenden Espe bei Behandlung dieser Frage so beharrlich den Kopf schütteln zu sehen.
    Dies Kopfschütteln Espes indes, wie durchaus gesagt werden muß, galt nur dem vorzeitigen und überhasteten Schlachtplane seiner Frau, keineswegs
dem
, an den dieser Plan anknüpfte. Diesem, eben unserem Assessor, war Espe viel mehr mit Aufrichtigkeit zugeneigt, besonders nachdem sich ein paar kleine Unebenheiten, auf deren eine wenigstens an dieser Stelle hingewiesen werden mag, rasch wieder beglichen hatten. Unverdorben nämlich (so war die Sache gekommen), in dem sich von Zeit zu Zeit das ganze Selbstbewußtsein eines vom mündlichen Examen dispensierten Primus omnium mit dem größeren Hochgefühl eines Trienniums in Göttingen, Bonn und Heidelberg und dem selbstverständlich größten eines Garde-Reserve-Offiziers mischte, hatte sich in einem im übrigen rein akademisch und jedenfalls ganz unpersönlich geführten Gespräche zu der Bemerkung hinreißen lassen, daß der alte Blücher, all seiner Meriten unerachtet, eigentlich doch nur eine »subalterne Natur« gewesen sei, welchen Ausspruch der von dem bloßen Worte »subaltern« allemal höchst unangenehm berührte Espe mit vieler Geistesgegenwart, ja, wie zugestanden werden muß, sogar mit einer gewissen Würde dahin beantwortet hatte, daß er dem preußischen Staate viele »Subalternen« à la Blücher wünsche, demselben preußischen Staate, von dem es, beiläufig bemerkt, weltkundig sei, daß er zwar nicht die »großen Männer«, die fänden sich überall, wohl aber die Dorfschulmeister und ähnliche »subalterne Leute« vor anderen

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