Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
gegenübersetzte.
    »Ihr könnt nicht schlafen, Monsieur L'Hermite. Was gibt es?« »Es sah wer in mein Fenster.«
    »Wer?«
    »Ich sah ihn nicht. Aber er hielt ein Kreuz vor der Brust.«
    »Das war das Fensterkreuz und der Mondschein dahinter.«
    L'Hermite lächelte. Lehnert aber, der das Grauen, das ihn mit erfaßt hatte, dem Freunde wie sich selber wegreden wollte, suchte bei seinem zwangsweis angeschlagenen Heiterkeitstone zu beharren und sagte: »Sinnestäuschung, Monsieur L'Hermite. Wer Euch ins Fenster sehen will, muß von unten her eine Leiter anlegen.«
    »Oder von oben.«
    Er sprach das so, daß Lehnert verstummte. Und nun saßen sie sich einander gegenüber, und zwischen ihnen schwebte das Licht, dessen Flackerschein in dem Spiegelchen reflektierte.
    So verging eine Weile. Dann sagte Lehnert: »Es gibt eine Himmelsleiter, und die Engel steigen hernieder, so steht geschrieben... Und vielleicht auch die Engel des Gerichts. Glaubt Ihr solche Dinge?«
    »Nein. Aber das Ammenmärchen hat nun mal Gewalt über uns, das Eiapopeia, das uns schon von der Wiege her gesungen wird. Die pfäffische Lüge verdirbt alles. Da liegt es. Statt, wie jetzt, in der großen Lüge großgezogen zu werden, müssen wir großgezogen werden in der Idee. Bis dahin zittern wir vor dem Spuk und haben kein Mark in der Seele.«
    Lehnert schwieg. Endlich sagte er: »Monsieur L'Hermite, drüben vor Eurem Fenster steht der Mond, und der Mond ist nicht jedermanns Sache. Bleibt hier, legt Euch auf das Ruhebett!«
    L'Hermite aber erhob sich wieder von seinem Platz, legte seine Hand auf Lehnerts Schulter und sagte: »Nein, wir wollen lieber in die Kapelle gehen; ich will da das Kreuz vom Altar nehmen und es hochhalten und den Geist anrufen, den Saint-Esprit. Denn der Geist ist die Idee. Die Kapelle soll mal etwas anderes hören als die Geschichte von Pharaos Traum und den ewigen sieben Kühen. Obadja persönlich ist eine fette Kuh, aber seine Predigt ist eine magere. Kommt! Ich will sein Tabernakel in einen Tempel der Idee verwandeln und will bloß vor zweien sprechen. Vor Euch und dem Mond. Das ist mir genug.«
     
    Es war nicht leicht, Monsieur L'Hermite von seinem Vorhaben ab- und in sein Zimmer zurückzubringen. Endlich gelang es, und nachdem Lehnert, des noch immer draußen stehenden Mondes halber, die Läden des einen Fensters geschlossen hatte, ging er in sein eigenes Zimmer zurück, um hier wieder sein Lager aufzusuchen. Er war nun selber Zeuge gewesen von der gelegentlichen Geistesgestörtheit L'Hermites, von der er schon gehört hatte. »Wenn es nicht sein Gewissen ist«, hatte Toby damals hinzugesetzt. Und Lehnert wiederholte jetzt Tobys damalige Worte.
    Der andere Tag war ein Sonntag. Lehnert erschien zur Morgenandacht, beurlaubte sich aber gleich danach für den ganzen Tag, um ins Gebirge zu reiten, in die Ozark-Mountains, deren viele Meilen langen Zug er nun seit einer Reihe von Wochen in beinah nächster Nähe vor sich sah, ohne daß es ihm bisher möglich gewesen wäre, sie zu besuchen. Die Woche gehörte der Arbeit und der Sonntag der Betrachtung und Ruhe, worauf Obadja, mit einer ihm sonst nicht eigenen Strenge hielt. Ausnahmen waren aber statthaft, und Lehnerts musterhafte Innehaltung aller Hausgesetze während seiner jetzt mehr als zweimonatlichen Anwesenheit in Nogat-Ehre ließ es Obadja nicht schwerfallen, heute solchen Ausnahmefall eintreten zu lassen.
    Es war der zweite September, und Lehnert, als er eben eine leis ansteigende Ebereschenallee hinaufritt – er hatte sich für einen kleinen Umweg entschieden – entsann sich mit einer gewissen Freudigkeit, daß es der Sedantag war. Er versenkte sich wieder in die Vorgänge von damals und sah wieder den Angriff der Chasseurs d'Afrique und wie die Säbel und roten Käppis der attackierenden Schimmelschwadron in der Sonne blitzten.
    Solche Bilder vor der Seele, ritt er weiter, allmählich aber bog die Ebereschenallee wieder nach links ein und ging in einen Birkenweg über, der sich alsbald in geringer Entfernung von dem in Trümmern liegenden Fort O'Brien ins Gebirge hineinzog. Als er in Höhe dieser Stelle war, stieg er ab und band sein Pferd an einen Baum, um, eh er weiterritt, erst dem interessanten Trümmerhaufen, auf den sich, von seinem Fenster aus, sein Auge manches liebe Mal gerichtet hatte, seinen Besuch zu machen. Fort O'Brien war, vor kaum mehr als zwanzig Jahren, in einem der vielen kleinen Kämpfe mit den Indianern von diesen erstürmt und zerstört worden, wobei

Weitere Kostenlose Bücher