Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
zwischen St. Germain und St. Denis gestanden und dem Kriege wie einem richtigen Kriegsschauspiel zugesehen. Und einmal hab er ganz deutlich beobachten können, wie die Parisischen durch eine geschickte Bewegung über die Brücke von Asnieres alles, was von Regierungstruppen in der großen Seine-Schleife gestanden, abgeschnitten hätten. Aber das sei freilich auch der letzte Sieg gewesen, und schon am nächsten Tage wäre der Triumphbogen von den von St. Cloud vorgehenden Bataillonen erstürmt worden. Und wenn er sich vergegenwärtige, was er bei der Gelegenheit alles gesehen hätte, so begreif er nur zu gut, was unmittelbar darauf von seiten der Kommunards geschehen sei, und könne von Grausamkeit keine Rede sein.
    Monsieur L'Hermite, während Lehnert so sprach, hatte still vor sich hin geblickt und eine Zigarette gedreht und erst nach einer Weile das Wort genommen. Es sei so, wie Lehnert sage. »Die Sache da draußen am Trocadero war kein Spaß, und daraufhin wurden die Geiseln erschossen... Und der letzte war der Erzbischof... Ich übernahm selber das Kommando... Er ist gestorben wie ein Held, wie nur die von der Kirche zu sterben verstehen.«
    Lehnert, als L'Hermite so sprach, sog jedes Wort ein und glaubte, jetzt sei der Augenblick für intimste Mitteilungen gekommen. Aber er sah sich abermals getäuscht, und sein Wissen blieb im wesentlichen auf dem Punkt, auf dem es schon vorher gestanden hatte.
    Nicht viel besser erging es ihm, als er, auf einem ähnlichen Umwege, den Versuch machte, Näheres über seines Flurgenossen Flucht aus Numea, wohin dieser deportiert worden war, herauszuholen. L'Hermite wiegte den Kopf hin und her und sagte dann, während er, um damit zu spielen, eine große Feile vom Arbeitstische nahm: »Es machte sich schnell. Wir waren unserer drei, die's wagten, weil wir gut schwimmen konnten, und schwammen denn auch wirklich, trotz Brandung, auf ein Schiff zu, von dem wir wußten, daß der Kapitän mit unserer Sache sei. Meinen beiden Kameraden aber ging die Kraft aus; ich für mein Teil konnte noch gerad ein Tau fassen, das mir von Deck aus zugeworfen wurde. Das ergriff ich denn auch, und eine Minute später zogen sie mich an Bord. In derselben Stunde noch ging's nach Portland. Und da war ich frei. Das andere wißt Ihr; Ihr kommt ja auch von San Francisco her. Ist eins wie das andere.«
    So knapp waren Monsieur L'Hermites Erzählungen, wenn es seine historische Zeit galt, aber desto mitteilsamer war er, wenn er auf seine mit Technik und Mechanik und vor allem mit dem Bergwerkswesen in Zusammenhang stehenden Pläne zu sprechen kam, was übrigens kaum verwundern konnte. War er doch vor allem, wie schon die Geschwister gleich am ersten Tag auf der gemeinschaftlichen Fahrt von Station Darlington nach Nogat-Ehre zu Lehnert gesagt hatten, ein Entdecker und Erfinder, und wenn er auch unzweifelhaft an seiner »Idee« mit einem stillen Fanatismus festhielt, so gab es doch eins, was in seinen Augen der »Idee« gleichkam, das war das »Projekt«. Ja, er war, vielleicht über alles andere hinaus, seiner ganzen Natur nach ein Projektenmacher, und was er die »Durchführung seiner Idee« nannte, war eigentlich auch nur Projekt und hätt ihn, wenn es anders gewesen wäre, schwerlich in seinem Gemüte derart ergriffen, wie's jetzt tatsächlich der Fall war. Er hielt Lesseps für den größten Mann des Jahrhunderts, und Isthmusdurchstechung oder eine Tunneleisenbahn unter dem Kanal hin, Ausschöpfung des Zuidersees und Füllung der Saharawüste mit Ozeanwasser, das alles waren Dinge, die seiner Seele mindestens so hoch standen (vielleicht noch höher) als der Sieg der Kommune. Sah man auf sein Leben zurück, so war es, in Gutem und Schlechtem, in Glück und Unglück, eine natürliche Folge dieser seiner Beanlagung. In der Mitte Frankreichs, in dem kleinen, aber mineralreichen Departement Creuze geboren, war er schon als Kind in den Galmei- und Bleierzbergwerken seines heimischen Departements beschäftigt gewesen, bis er 1849, damals erst neunzehn Jahr alt, nach Paris und hier wiederum (nach nur kurzer Beschäftigung in einer Fabrik, darin Bleiröhren gezogen wurden) unter die »Roten« ging, in deren Reihen er gleich danach die Junischlacht mitmachte. Verwundet, gefangen und eingekerkert, ließ er, als er wieder freikam, auf eine Weile die Politik fallen und machte, mittlerweile Soldat geworden, mit Passion den Krimkrieg mit, bei welcher Gelegenheit er sich im Minenkriege vor Sebastopol derart auszeichnete,

Weitere Kostenlose Bücher