Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Beisammenleben in Nogat-Ehre bezogen. L'Hermite, wie gewöhnlich ganz hingenommen, sprach mit Lebhaftigkeit über Gasleitung und Anbringung eines Betsaalkronleuchters, dessen Fledermausflammen, wenn gewünscht, ja mit Leichtigkeit auch aus Christus-oder Prophetenköpfchen (selbstverständlich unter Bevorzugung des Obadjakopfes) aufschlagen könnten, und als Lehnert darüber lachte, spielte L'Hermite Trumpf auf Trumpf aus und gefiel sich darin, immer grotesker zu werden. Endlich aber ließ man das Gas-und Kronleuchterthema fallen und kam überein, zunächst neue Stahlreifen und Croquethämmer für Ruth und Toby und, wenn das geschehen sein würde, ein neues großes Spind mit Fliegenfenster für Maruschka machen zu wollen.
    Es lag nah, daß man, bei Besprechung dieser mit den einzelnen Hausinsassen sich beschäftigenden Dinge, von den Dingen zuletzt auch auf die Personen kam, und Lehnert, als er sah, daß L'Hermite seinen Absinth ohne Wasser zu nehmen anfing, konnte, so vorsichtig er sonst war, der Versuchung nicht widerstehen, allerhand Fragen zu tun, um auf die Weise seinen nun schon im fünften Jahr in Nogat-Ehre weilenden Haus- und Flurgenossen über die verschiedenen Mitglieder der Familie, wie des Hauses überhaupt, auszuholen.
    »Es ist sonderbar«, sagte Lehnert, »man hört und sieht dies und das und stellt sich natürlich auch allerhand Fragen über die, die so neben einem herleben, und doch hat man nicht recht Antwort darauf, auch nicht einmal bei denen, die die klarsten und einfachsten zu sein scheinen.«
    »Ihr seid zu schwierig, Lehnert«, lachte L'Hermite. »Zu schwierig und zu gewissenhaft, so recht ein Deutscher, und wollt immer zu tief auf den Grund. Aber das glückt nicht.
Ich
für meine Person, ich wüßte keinen, über den ich auch nur im geringsten in Zweifel wäre, und verpflichte mich, ohne Besinnen, einem jedem sein Zertifikat zu geben.«
    »Das wäre«, sagte Lehnert. »Soll ich einmal den Versuch machen?«
    L'Hermite nickte.
    »Nun denn, Kaulbars?«
    »Tête carrée.«
    »Und Maruschka?«
    »Un peu de cochon.«
    »Und Obadja?«
    »Un peu de Mormon.«
    »Und Toby?«
    »Bon garçon.«
    »Und Ruth?«
    »Ange.«
    »Und Monsieur Camille L'Hermite?«
    »Blagueur.«
    »Und Lehnert Menz?«
    »Caïn le Sentimental.«
    Lehnert fuhr zusammen. L'Hermite aber sah einfach zur Seite, nahm einen Absinth und riß dann ruhig ein Blättchen Seidenpapier aus dem Block, um eine neue Zigarette zu drehen.
     
Dreiundzwanzigstes Kapitel
     
    Lehnert war derart getroffen, daß er unfähig war, das Gespräch weiterzuführen, und bald danach sich erhob, um in sein Zimmer hinüberzugehen. Da schritt er nun auf und ab und kam schließlich zu dem Resultat, daß alles ein Zufall gewesen sei. Sehr bald aber war es mit diesem Trost vorbei. »Nein,
nicht
Zufall. Er hat mich wissen lassen wollen: ›Ich weiß.‹ Nicht aus böser Absicht (ist er doch selber mit drin), aber aus Laune, vielleicht auch aus Teilnahme.«
    So sann er noch weiter nach, und Mitternacht war heran, als er sich, halb angekleidet, auf das aus Bambusstäben leicht zusammengefügte Ruhebett streckte; das Bett selbst aufzusuchen widerstand ihm. Was geschehen war, geschehen vor manchem Jahr, war ihm seit einer Stunde wieder mit vollem Gewicht auf die Seele gelegt worden, und lebhafter noch als gleich am ersten Tage bei seinem Erscheinen in Nogat-Ehre beklagte er es, daß Obadja keine Beichte von ihm verlangt habe. »Warum verlangte er sie nicht? Weil er's wohl mit mir meinte. Nun aber quält es mich und belastet mich. Was gebeichtet wird, das kann verziehen werden, aber die verborgene Schuld, vor niemand eingestanden, das ist die schwerste der Strafen.«
    Und erschöpft schlief er endlich ein und nahm seine selbstquälerischen Gedanken mit in seinen Traum. Er schlief noch nicht lang, als ein Klopfen ihn weckte. Wer es sein könne, war ihm kaum zweifelhaft, und er ging auf die Tür zu und öffnete. Wirklich, es war L'Hermite, nur in Slippers und weitem Beinkleid und sein Käppi wie gewöhnlich im Nacken. In der Linken hielt er einen Blaker, drin ein Lichtstümpfchen, mit einem Dieb am Docht, rußig qualmend hin und her flackerte. Das Groteske ging unter in dem Schmerzlichen der Erscheinung. Er mühte sich, überlegen dreinzuschauen, und schien sich und die Welt ironisieren zu wollen, aber ein mächtigeres Gefühl hielt seinen Spott im Bann, und er sah aus wie der Tod auf der Maskerade, der tanzen will. Endlich nahm er Platz, während Lehnert sich ihm

Weitere Kostenlose Bücher