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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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ihn, so herzlich, als ob er nie der Hohepriester von Nogat-Ehre gewesen wäre.
    Daß dem so sein konnte, das hing übrigens noch mit einem andern Zuge seiner Natur zusammen: Obadja, trotz beinah vierzigjährigen Aufenthalts in Amerika, hatte sich einen altheimatlichen Sinn, ganz besonders aber einen Sinn für provinziale Sitten und Vorkommnisse bewahrt, und gleich nach Kaiser Wilhelm und Bismarck gab es eigentlich nichts Unterhaltlicheres für ihn als Weichselüberschwemmungen oder Sand- und Schneeverwehungen auf der Nehrung oder Bernsteinausgrabungen – lauter ost- und westpreußische Themata, daran sich selbstverständlich auch schlesische Besonderheiten anschließen durften, und je mehr Sagen und Märchen aus dem Riesengebirge von Lehnert erzählt und je mehr Wichtelmännchen und Zwerge dem Monsieur L'Hermite für seine Schürfversuche zur Verfügung gestellt wurden, je lächelnder und glücklicher sah Obadja drein. Am meisten, und das galt für alt und jung, interessierte natürlich Rübezahl, von dem jeder immer mehr hören wollte, bis Lehnert versprach, ihnen allen einen Rübezahl in Holz zu schnitzen. Das könne jeder Schlesier, und er wolle sich für Porträtähnlichkeit verbürgen, trotzdem er Rübezahl seit über sechs Jahren nicht mehr gesehen habe.
    Und gesagt, getan. Eine große Fichtenflechte, die für Haar und Bart zu sorgen hatte, wurde von den benachbarten Ozark-Mountains herbeigeschafft, und schon am nächsten Familienabende machte der alte Berggeist, dem L'Hermite ein Paar rote Glasaugen eingesetzt hatte, seine Aufwartung und ging reihum und wurde bestaunt und bewundert. Nur Maruschka erklärte, ihn nicht anfassen zu wollen; der heilige Niklas sei es nicht, also sei es ein Götze. Und mit dieser ihrer naiven Erklärung behielt sie mehr recht, als sie selber erwartet haben mochte. Denn kaum drei Tage nachdem man das Holzbild in die Halle gestellt hatte, ließen sich mehrere Mennoniten von Nogat-Ehre bei Obadja melden und stellten den Antrag, den Götzen, der bereits Anstoß in der Gemeinde gegeben habe, wieder beseitigen zu wollen, ein Antrag, dem natürlich Folge gegeben und mit dessen Ausführung: ein Autodafé drüben im Parkgarten, Monsieur L'Hermite betraut wurde. Ja, der Rübezahl ging in Flammen auf, aber diese Nachgiebigkeit machte die mal zu Wort gekommenen Unzufriedenen nicht schweigen, seitens derer die Gelegenheit benutzt und über den Einzelfall hinausgreifend ganz allgemein bemerkt wurde: Das käme davon, wenn man sein Haus zur Freistätte für all und jeden mache – eine Bemerkung, die sich übrigens, sonderbar zu sagen, nicht so sehr gegen Lehnert und Monsieur L'Hermite wie gegen Maruschka richtete, der es nichts half, das unzweifelhaft harmloseste Mitglied der katholischen Kirche zu sein. Obadja nahm daraus Veranlassung, am nächsten Sonntag im Betsaale eine Ansprache zu halten und auf den Unterschied zwischen einem Götzen und einem bloßen Spielzeug hinzuweisen. Auch gegen ein solches, ein Spielzeug, rigoros vorzugehen, verenge den Sinn und verkümmere das Leben. Und was die Dinge angehe die nebenher noch zu seinen Ohren gekommen seien, so sei sein Haus ein Haus des Friedens und der darin herrschende Geist, nach seinem allerbestimmtesten Wunsch und Willen, ein Geist des Ausgleichs und der Versöhnung, ein Quell, der
jeden
labe, der da durstig sei. Nach dieser Ansprache beruhigte man sich wieder in der Gemeinde. Die schlesischen Geschichten aber mit ihrem verdeckten Heidentume, soviel hatte dieser Protest doch gewirkt, wurden auf längere Zeit vom Programm abgesetzt, und für Ruth lag wieder die Notwendigkeit vor, nach anderem Unterhaltungsstoff auszusehen.
    Und bald war eine Hilfe gefunden, und zwar zumeist dadurch, daß man übereinkam, die Musikabende mit Leseabenden abwechseln zu lassen. Aber was sollte man lesen? Erbauliches gab es jeden Tag bei der Morgenandacht; es war also höchst wünschenswert, eine Lektüre zu finden, am besten eine Romanlektüre, deren weltlicher und vielleicht selbst liebesgeschichtlicher Inhalt immer noch, auch wenn Obadja der Vorlesung beiwohnte, für zulässig angesehen werden konnte. L'Hermite, mit dem ihm eigenen grotesken Ernst, proponierte »Madame Bovary«, dann »Nana«, Vorschläge, die von Ruth und Toby, da das Renommee dieser Romane selbst bis Nogat-Ehre gedrungen war, unter Heiterkeit niedergestimmt wurden – eine Heiterkeit, dran auch Maruschka, wie an jeder Heiterkeit, teilnahm, ohne zu wissen, um was sich's handelte. Flaubert und

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