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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Zola fielen also, alles Französische überhaupt, denn nur Englisches und Deutsches sollte Geltung haben, und nachdem man auch noch einen zweiten Abend unter Namensnennung aller möglicher alter und neuer Autoren und ihrer Werke verbracht hatte, kam man auf Ruths und Tobys Vorschlag endlich überein, mit Bret Hartes kleinen Erzählungen und Pestalozzis »Gertrud und Lienhardt« abwechseln zu wollen. Gertrud und Lienhardt wären ihnen zwar schon bekannt, aber damals seien sie Kinder gewesen, und sie wollten jetzt sehen, ob es noch Stich halte, vor allem aber, ob zwischen Lehnert und Lienhardt eine Ähnlichkeit sei und wer von beiden ihnen besser gefalle.
    Mit Bret Harte fing man an, und »The Luck of Roaring Camp« ebenso wie die »Outcasts of Pokers Flat« kamen gleich in der ersten Woche zum Vortrage. Sonderbarerweise kannte niemand die Sachen, auch Lehnert nicht, trotzdem er jahrelang in den Diggings und San Francisco gelebt hatte. Dafür aber kam diesem, als es ans Kritisieren ging, sein Vertrautsein mit den kalifornischen Menschen und Zuständen zustatten, derart, daß er einfach als Autorität angesehen und selbst von Obadja, der all diesen Schilderungen mit größtem Interesse gefolgt war, um seine Meinung gefragt wurde. Lehnert, zum ersten Mal in seinem Leben vor solche Frage gestellt, geriet in eine gewisse Verlegenheit und wollte sich dem Sprechenmüssen entziehen. Als er aber kein Entrinnen sah, nahm er sich ein Herz und sagte, daß ihn alles tief ergriffen habe, besonders die »Outcasts of Pokers Flat«, denn solche Figuren gäb es in beträchtlicher Zahl in den Diggings. Alles in allem aber fänd er doch, daß der Erzähler um etliche Grade zu nachsichtig und zu gelinde vorgegangen sei. Läg es so, wie Bret Harte die Dinge geschildert, so wären alle diese sonderbaren Leute nichts als gescheiterte Prachtmenschen, bei denen, je nach der Abstammung, der Gentleman oder der Hidalgo oder der Chevalier in jedem Augenblick wieder zum Vorschein kommen müsse. Was er indessen persönlich kennengelernt habe, das seien, wenn auch mit gelegentlichen Ausnahmen, nur Rowdies gewesen, Rowdies, die mit dem Bowiemesser besser als mit dem Degen Bescheid gewußt hätten. Mit einem Wort, er fände, daß die kalifornische Natur vorzüglich getroffen, aber die kalifornische Menschheit doch allzusehr verherrlicht sei. So vornehm seien die Leute nicht.
    Diese Worte Lehnerts fanden Zustimmung bei Obadja, noch mehr bei L'Hermite, der nur hinzusetzte, man müsse diese Schönfärberei möglichst milde beurteilen, weil sie sich durch alles zöge, was geschrieben würde. Der große Zola, dessen neuestem Roman er erst neulich wieder in der »Galveston-Gazette« begegnet sei, mache freilich Versuche, dem Übelstande beizukommen, aber immer noch schwächlich und mit durchaus unausreichendem Mut. Erst die Herrschaft der »Idee« werde die Lüge beseitigen, zunächst aus dem Leben und hinterher auch aus der Literatur.
    Die nächste Woche begann mit »Gertrud und Lienhardt«.
    »Wir wollen gründlich vorgehen«, nahm Obadja gleich am ersten Abende das Wort. »Das heißt, wir wollen auch die Vorrede lesen. Das sind schlechte Leser, die von Vorreden nichts wissen wollen.«
    »Ich kenne nur langweilige«, sagte L'Hermite.
    »Das kommt vor, aber nicht immer. Unter allen Umständen wollen wir's versuchen. Lies, Ruth!«
    Und nun nahm Ruth das Buch und schob die Lampe nach links.
    »Es waren aber Männer unter den Heiden«, so begann sie, »Männer voll Weisheit, die weit und breit auf der Erde ihresgleichen nicht hatten. Und diese sprachen: ›Lasset uns zu den Königen und ihren Gewaltigen gehen und sie lehren, ihre Völker glücklich zu machen.‹ Und sie gingen auch. Und die Könige und Gewaltigen, als sie die Lehre der Weisen gehört, lobten die weisen Männer und gaben ihnen Gold und Seide, taten aber gegen ihre Völker wie vorher. Und die weisen Männer wurden von dem Gold und der Seide blind, und nur einer war, der vergaß nicht seines Worts und seiner Pflicht und gab dem Bettler seine Hand und grüßte den Zöllner samt dem Knecht und führte den Sünder und den Verbannten in seine Hütte. Das sah das Volk und pries ihn um seines Ausharrens in der Liebe willen.«
    Ruth, als sie bis zu dieser Stelle gelesen, wollte rasch fortfahren, Obadja nahm aber jetzt seinerseits das Wort und bemerkte, daß er sich keine bessere Vorrede denken könne, denn sie gäbe das
Leitmotiv
für das Ganze, welches Wort er wähle, weil es jetzt »drüben« derartig

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