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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Mode sei, daß man's in jedem Zeitungsblatt finde...
    »Oui, oui«, sagte L'Hermite. »C'est le grand mot du grand Richard...«
    »Es ist«, fuhr Obadja fort, ohne der Unterbrechung weiter zu achten, »es ist der richtige Taktaufschlag und läßt dem Leser kaum Zweifel über den Geist, aus dem heraus das Ganze geschrieben ist. Und dieser Geist ist der republikanische Geist. Und daß derselbe hier lebendig ist, hier in dieser herrlichen alten Schweizergeschichte, das ist ein Vorzug, dessen sich nur wenig deutsche Bücher rühmen dürfen. Über allen deutschen und namentlich über allen preußischen Büchern, auch wenn sie sich von aller Politik fernhalten, weht ein königlich preußischer Geist, eine königlich preußische privilegierte Luft; etwas Mittelalterliches spukt auch in den besten und freiesten noch, und von der Gleichheit der Menschen oder auch nur von der Erziehung des Menschen zum Freiheitsideal statt zum Untertan und Soldaten ist wenig die Rede. Darin ist die schweizerische Literatur, weil sie die Republik hat, der deutschen überlegen, und alle Deutsche, die, wie wir, das Glück haben, Amerikaner zu sein, haben Grund, sich dieses republikanischen Zuges zu freuen.«
    Alles nickte. Nur L'Hermite, der nichts Lächerlicheres als jene »Halbheitszustände« kannte, die sich Republik nennen, wiegte den Kopf mit überlegener Miene hin und her und war froh, als auf Weiterlesen gedrungen wurde. Ruth, weil sie lieber selbst las als zuhörte, sprach den Wunsch aus, fortfahren zu dürfen, und Obadja stimmte zu.
    Noch denselben Abend kam man ein gut Stück in die Geschichte hinein, die bald wieder alt und jung ins Interesse zog. Voran in lebhafter Teilnahme stand aber Lehnert, vielleicht, weil er aus vielem, was da erzählt wurde, seine eigene Lebensgeschichte heraushörte. Lienhardt, das war er selbst, und der böse Vogt, der den armen Lienhardt gequält und zum Schlechten verführt, das war Opitz. Er wollte immer mehr hören und war beinahe mißgestimmt, als man auf Obadjas Geheiß plötzlich abbrach und die Vorlesung bis auf den andern Abend vertagte. Wenigstens das nächste Kapitel, das sich »Niedriger Eigennutz« betitelte, hätt er gern noch kennengelernt, und so nahm er denn, als man sich bald danach zurückzog, das von Ruth auf einen Ecktisch gelegte Buch zur Befriedigung seiner Neugier mit in sein Zimmer hinüber und las bis Mitternacht. Dann schritt er noch eine Zeitlang auf und ab, um seiner Aufregung Herr zu werden, und öffnete dabei das Fenster und lehnte hinaus und sah nach dem in klaren Umrissen daliegenden Gebirge hinüber. Darüber flimmerten die Sterne. Ihm war es, als erblick er die Leiter, von der L'Hermite damals in jener Mond- und Spuknacht gesprochen hatte, nur mit dem Unterschiede, daß er, statt ihn ängstigender Schatten, Engel und Lichtgestalten auf- und niedersteigen sah. Und nun schloß er das Fenster wieder und sah Ruth, wie sie drüben in halber Beleuchtung gesessen und in den Lesepausen abwechselnd dem Vater und der alten Maruschka die Hand gestreichelt hatte.
    »Ja, wer
so
geboren wird, wen das Leben
so
wiegt und trägt... Armer Mensch ich, arm und elend und verloren, wenn Gott nicht ein Wunder tut... Aber wie's auch komme,
doch
gut, daß ich das alles noch erlebt... Und wenn er ein Wunder täte! Hab ich es verwirkt? Ist ein Wunder unmöglich? Nie, sonst wär es kein Wunder.«
    Und er lebte sich in diese Vorstellung ein und legte sich's zurecht und sah wieder heiter in die Zukunft. Unklare, verschwimmende Bilder von Besitz und Glück und Ruhe stiegen vor ihm auf.
     
Sechsundzwanzigstes Kapitel
     
    Ruth und Toby war es nicht entgangen, daß Lehnert das Buch mit hinübergenommen hatte; beide hatten sich darüber gefreut und fast auch über die Heimlichkeit, mit der es geschah. Sie gestanden sich das, als sie tags darauf nach der Morgenandacht die Treppe hinaufstiegen, um oben in Ruths Zimmer noch ein kurzes vertrauliches Geplauder zu haben. Sie setzten sich einander gegenüber und sahen eine Weile Maruschka zu, die mit großen Holznadeln an einem mächtigen Wollshawl strickte, während ein Rotfink im Zimmer hin und her flog. Zuletzt folgten die Geschwister dem Hinundherfluge des schönen Tieres, und als es sich auf den Ecktisch setzte, darauf Ruth gestern das »Gertrud-und-Lienhardt«-Buch gelegt hatte, sagte diese:
    »Sieh, Toby, da liegt das Buch wieder! So geschickt er es gestern mitgenommen, so geschickt hat er es heute wieder hingelegt. Es muß gewesen sein, als wir schon

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