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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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und vor das andere einen runden geschliffenen Smaragd, den er zu diesem Zweck stets bei sich trug, gehalten und betrachtete nun die beiden. Einen Augenblick lang traf sein Blick den Lygias, und das Herz des Mädchens zog sich vor Angst zusammen. Als sie, noch ein Kind, auf dem sizilischen Landgut ihrer Pflegeeltern lebte, erzählte ihr ein alter ägyptischer Sklave von Drachen in Berghöhlen, und jetzt war es ihr, als ob das grünliche Auge eines solchen Ungeheuers sie anstarrte. Sie ergriff wie ein erschrecktes Kind die Hand des Marcus, und flüchtige Gedanken ohne Zusammenhang jagten durch ihren Kopf. Also das war er, der Fürchterliche, der Allgewaltige?
    Sie hatte ihn zuvor nie gesehen und meinte, er müßte anders aussehen. Sie hatte sich ein gespensterhaftes Antlitz, dessen Züge versteinerte Heimtücke waren, vorgestellt und sah nun einen großen Kopf auf einem Stiernacken, zwar Schrecken einflößend, doch fast lächerlich; denn von ferne schien es der Kopf eines Kindes zu sein. Eine anderen Sterblichen verbotene amethystfarbene Tunika warf einen bläulichen Schimmer auf sein breites, kurzes Gesicht. Die schwarzen Haare waren nach der von Otho eingeführten Mode in vier Lockenreihen angeordnet. Einen Bart trug er nicht, weil er ihn kürzlich Jupiter zum Opfer gebracht hatte – wofür ihm alle Römer dankten, obschon man sich zuflüsterte, er habe ihn deshalb geopfert, weil er rot war. Auf der über den Augen stark hervortretenden Stirn lag etwas von einem Olympier. Aus den zusammengezogenen Brauen sprach deutlich das Bewußtsein höchster Gewalt; doch unterhalb der Stirn eines Halbgottes war das Gesicht eines Affen, eines Trunkenboldes und Komödianten – nichtssagend, voll wechselnder Begierden, strotzend vor Fett, trotz seiner Jugend; überdies war es krankhaft und häßlich. Lygia erschien es unheilbringend, vor allem aber abstoßend.
    Nach einer Weile legte er den Smaragd weg und betrachtete das Mädchen nicht länger. Jetzt gewahrte sie die blauen, hervorspringenden Augen, blinzelnd im Übermaß der Beleuchtung, glasig, geistlos, den Augen eines Toten ähnlich.
    „Ist das die Geisel, in die Marcus Vinicius verliebt ist?“ fragte er, sich an Petronius wendend.
    „Sie ist es“, war die Antwort.
    „Wie heißt ihr Volk?“
    „Die Lygier.“
    „Hält Vinicius sie für schön?“
    „Kleide einen morschen Olivenstamm in den Peplos eines Weibes, und Vinicius wird ihn für schön erklären. Doch in deinen Zügen, du unvergleichlicher Richter, habe ich dein Urteil schon gelesen. Du brauchst es gar nicht zu äußern. Dein Urteil ist richtig. Sie ist zu dürr, zu dünn, eine Mohnkapsel auf dünnem Stengel, und du, o göttlicher Kenner, du schätzest am Weibe den Stengel. Du hast hundertmal recht. Das Gesicht allein bedeutet nichts. Viel habe ich zwar gelernt im Umgang mit dir; doch den sicheren Blick wie du besitze ich nicht. Immerhin möchte ich mit Tullius Senecio um sein Liebchen wetten, daß du – obwohl es schwierig ist, bei einem Mahle, wo alle liegen, ein Urteil über die ganze Gestalt abzugeben – dir selbst schon gesagt hast: Zu schmal in den Hüften.“
    „Zu schmal in den Hüften“, erwiderte Nero blinzelnd.
    Ein kaum merkliches Lächeln überflog Petronius’ Lippen, doch Tullius Senecio, der sich bis jetzt mit Vestinus unterhalten oder vielmehr dessen Glauben an Träume verspottet hatte, wandte sich gegen Petronius um und sagte, ohne auch nur im geringsten zu wissen, um was es sich handle:
    „Du irrst! Ich bin der Meinung des Cäsars.“
    „Vortrefflich!“ erwiderte Petronius. „Ich behauptete eben, du besitzest einen Schimmer von Verstand, der Cäsar dagegen besteht darauf, du seist ein vollkommener Esel.“
    „Habet!“ sagte Nero und kehrte den Daumen nach unten, wie im Zirkus, wenn ein Gladiator besiegt war und den Todesstreich bekommen sollte. Vestinus aber, in der Meinung, es sei von Träumen die Rede, rief:
    „Ich glaube dennoch an Träume, und aus Senecas Munde weiß ich, daß auch er daran glaubt.“
    „Letzte Nacht träumte mir, ich sei Vestalin geworden“, sagte Calvia Crispinilla, sich über die Tafel beugend. Der Cäsar klatschte in die Hände, die anderen folgten, und im Nu ertönte überall herum Händeklatschen – denn Crispinilla hatte eine hübsche Anzahl von Ehescheidungen hinter sich und führte einen Lebenswandel, dessen unglaubliche Verderbtheit in ganz Rom bekannt war.
    Sie ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen und sagte:
    „Nun wohl; die Vestalinnen

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