Quo Vadis
Gebäude stehen, aus dem das Klappern der Handmühlen drang. Quartus trat ein, Chilon dagegen blieb draußen, weil er sich nicht gern von vielen sehen ließ und in beständiger Furcht lebte, zu seinem Unglück könne ihm Glaukos begegnen.
„Ich bin gespannt auf den Hercules, der in dieser Mühle arbeitet“, sagte Chilon zu sich selber, indem sein Auge auf dem hellscheinenden Mond ruhte. „Ist er ein Schuft und ein kluger Kerl, so kostet er mich etwas; ist er jedoch ein frommer, einfältiger Christ, so erfüllt er meinen Wunsch auch ohne Bezahlung.“
Hier wurden seine Gedanken unterbrochen, da Quartus eben mit einem zweiten Mann heraustrat. Dieser trug bloß eine Tunika, Exomis genannt, die den rechten Arm und die rechte Brust unbedeckt ließ. Das Gewand ließ dem Körper freie Bewegung, weshalb es besonders von Arbeitern benutzt wurde. Chilon atmete befriedigt auf, als er den Ankommenden musterte. Einer solchen Kraftgestalt war er nie zuvor begegnet.
„Hier ist der Bruder, Herr, den du zu sehen wünschtest“, sagte Quartus.
„Christi Frieden sei mit dir“, erwiderte Chilon. „Sag du, Quartus, diesem Bruder, ob ich Vertrauen verdiene, und geh dann in Gottes Namen heim; dein ergrauter Vater soll nicht unnötigerweise allein gelassen werden.“
„Dies ist ein heiliger Mann“, sagte Quartus, „der sein ganzes Vermögen hingab, um mich loszukaufen – mich, den er gar nicht kannte. Unser Heiland möge ihn dafür belohnen!“
Als der riesenhafte Arbeiter dies vernahm, beugte er sich nieder und küßte Chilons Hand.
„Wie heißest du, Bruder?“ fragte der Grieche.
„In der heiligen Taufe erhielt ich den Namen Urban.“
„Urban, mein Bruder, hast du Zeit, mit mir ungestört zu sprechen?“
„Unsere Arbeit beginnt um Mitternacht, jetzt wird erst unser Abendessen zubereitet.“
„Dann ist genügend Zeit vorhanden. Laß uns zum Fluß gehen; dort sollst du mich anhören.“
Sie gingen und setzten sich auf die steinerne Einfassung des Ufers. Ringsum herrschte Schweigen, nur vom fernen Geräusch der Mahlsteine und dem Rauschen des weitereilenden Flusses unterbrochen. Chilon prüfte das Antlitz des Riesen, das ihm ehrlich und gütig erschien, trotz eines gewissen ernsten, traurigen Ausdrucks, der ein Kennzeichen der meisten in Rom lebenden Barbaren war.
„Das ist ein gutmütiger, einfältiger Mann, der mir Glaukos ohne Bezahlung wegräumen wird“, dachte Chilon.
„Urban“, fragte er darauf, „liebst du den Heiland?“
„Aus tiefster Seele liebe ich ihn“, war die Antwort des Arbeiters.
„Und deine Brüder, deine Schwestern, jene, die dich im Glauben unterrichtet haben?“
„Auch sie liebe ich.“
„Friede sei mit dir!“
„Auch mit dir, Vater.“
Abermals herrschte Schweigen. In der Ferne hörte man die Mahlsteine, und der Fluß rauschte zu Füßen der beiden.
Chilons Augen ruhten unverwandt auf dem klaren Mond, während er mit leiser, zurückhaltender Stimme über den Tod des Erlösers zu sprechen begann. Es war, als ob er nicht zu Urban rede, sondern jenen Tod sich selber ins Gedächtnis rufe oder der schlummernden Stadt ein Geheimnis zuflüstere.
Der Eindruck war gewaltig und rührend. Der Riese weinte. Als Chilon nun seufzend beklagte, daß auf dem Leidenswege des Erlösers keiner sich gefunden hätte, der ihn, wenn nicht gegen die Kreuzigung, so doch wenigstens gegen die Schmähworte der Juden und Söldner verteidigt hätte, da ballten sich die riesigen Fäuste seines Zuhörers vor Mitleid und unterdrückter Wut. Christi Tod rief das Gefühl der Erschütterung und Rührung in ihm hervor, doch beim Gedanken an jene Menschen, die das gekreuzigte Lamm verhöhnt hatten, empörte sich seine kindliche Seele, und wilde Rachgier ergriff ihn.
„Urban, weißt du, wer Judas war?“ fragte Chilon plötzlich.
„Ich weiß es, ja! Doch er hat sich selber entleibt“, erwiderte der Arbeiter.
In seinem Tone lag tiefes Bedauern, daß der Verräter sich die Strafe selber zugemessen und also nicht in seine, Urbans, Hände fallen konnte.
„Wenn er sich aber nicht entleibt hätte und er würde einem Christen irgendwo begegnen, wäre es dann nicht Pflicht dieses Christen, die Qualen, das Blut, den Tod des Erlösers zu rächen?“
„Wer sollte das nicht rächen, Vater!“
„Friede sei mit dir, du getreuer Diener des Lammes! Gewiß dürfen wir das Unrecht verzeihen, das uns selber angetan wird; doch wer darf Unrecht vergeben, das man Gott zugefügt hat? Gleichwie die Schlange eine Schlange
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