Quo Vadis
ausbrütet, wie Sünde wieder Sünde gebiert, Verrat wieder Verrat, so ist aus dem giftigen Samen des Judas ein neuer Verräter entstanden; wie Judas den Heiland an die Juden und römischen Söldner auslieferte, so will dieser, der unter uns ist, Christi Schafe den Wölfen hingeben. Wenn keiner dem Verrat zuvorkommen, wenn niemand beizeiten der Schlange den Kopf zermalmen will, ist unser aller Los der Untergang, und mit uns wird auch die Lehre des Lammes vernichtet.“
In sprachlosem Schrecken blickte der Arbeiter Chilon ins Antlitz. Der Grieche zog einen Zipfel des Mantels über den Kopf und sagte mit einer Stimme, die aus der Erde zu dringen schien:
„Wehe euch, ihr Diener des wahren Gottes! Wehe euch, christliche Männer und christliche Frauen!“
Wieder trat Schweigen ein, wieder erklang das Geräusch der Mahlsteine, der tiefstimmige Gesang der Mühlknechte und das Rauschen des Flusses.
„Mein Vater“, sagte endlich der Riese, „was für ein Verräter ist es?“
Chilon ließ das Haupt sinken.
„Was für ein Verräter? Ein Sohn des Judas, ein Sprößling seines giftigen Samens, ein Mann, der Christ zu sein heuchelt und an Versammlungen teilnimmt, um nachher die Brüder beim Cäsar zu verklagen, indem er sagt, wir hielten ihn nicht für einen Gott, wir vergifteten die Brunnen, ermordeten Kinder und wollten Rom zerstören, so daß kein Stein auf dem anderen bleibt. Wisse: In wenigen Tagen werden die Prätorianer den Befehl erhalten, Greise, Greisinnen und Kinder in den Kerker zu werfen und zum Tode zu führen, geradeso, wie es mit den Sklaven des Pedanius Secundus geschah. An all diesem ist der neue Judas schuld. Doch wenn keiner den ersten Judas bestrafte, keiner Rache an ihm nahm, keiner den Heiland in der Stunde der Qual beschützte – wer wird dann diesen bestrafen, wer die Schlange zertreten, bevor der Cäsar ihr sein Ohr geliehen? Wer wird unsere Glaubensbrüder vor dem Untergange retten?“
Urban, der auf einem Steine saß, fuhr empor und sagte:
„Ich, mein Vater!“
Chilon erhob sich gleichfalls. Prüfend flog sein Blick über das vom Mond beleuchtete Antlitz des hünenhaften Mannes; dann erhob er segnend die Hand.
„Geh unter die Christen“, sagte er feierlich, „geh in die Gebetshäuser, erkundige dich bei den Brüdern nach Glaukos, dem Arzt; und wo man ihn dir zeigt, da töte ihn sofort um Christi willen!“
„Glaukos“, sprach der Arbeiter vor sich hin, als wolle er den Namen seinem Gedächtnis einprägen.
„Kennst du ihn?“
„Nein. Es gibt in Rom Tausende von Christen, die sich nicht alle kennen. Doch morgen nacht werden im Ostrianum die Brüder und Schwestern vollzählig sich versammeln, weil ein großer Apostel Christi gekommen ist, der uns lehren will. Die Brüder werden mir Glaukos zeigen.“
„Im Ostrianum?“ fragte Chilon. „Das ist außerhalb der Stadttore! Die Brüder und alle Schwestern auch, nachts? Außerhalb der Stadttore, im Ostrianum?“
„Ja, mein Vater. Dort ist unser Friedhof, zwischen der Via Salaria und der Via Nomentana. Wußtest du nicht, daß der große Apostel dort lehren wird?“
„Ich war zwei Tage fort, so daß mir sein Brief nicht bekannt wurde. Ebenso weiß ich nicht, wo das Ostrianum liegt; denn vor kurzem erst kam ich hierher von Korinth, wo ich eine Christengemeinde leiten mußte. Doch, wie du sagst, wirst du Glaukos bei den Brüdern finden und ihn auf dem Heimwege töten. Dafür sollen alle deine Sünden dir vergeben sein. Und nun: Friede sei mit dir!“
„Mein Vater …“
„Ich höre, Diener des Lammes.“
Bestürzung malte sich in Urbans Zügen.
Kurz zuvor hatte er einen Mann, vielleicht zwei, getötet. Doch Christi Lehre verbietet zu töten. Er hatte sie allerdings in Notwehr getötet; und selbst das ist verboten. Auch nicht um Gewinn hatte er es getan, Gott behüte! Der Bischof selber hatte ihm Brüder zum Beistand gegeben, aber jede Tötung verboten. Ohne eigentliche Absicht war es geschehen, weil Gott ihn mit zu großer Kraft bestraft hatte. Und jetzt tat er schwere Buße dafür. Andere singen, während der Mühlstein geht, doch er, der Unselige, denkt an seine Sünde, seine Beleidigung des Lammes. Wieviel hat er schon gebetet und geweint. Und doch fühlt er, daß er noch nicht genug gebüßt hat. Und nun hat er abermals versprochen, einen Verräter zu töten, und das war auch richtig. Denn selbsterlittenes Unrecht soll man vergeben, aber den Glaukos wird er morgen im Ostrianum, vor den Augen aller Brüder und Schwestern,
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