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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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abgerissenes Wort oder ein Satz an sein Ohr, wie: „Wache auf, der du schläfst“, oder: „Erhebe dich von den Toten“; der Name Christus aber wiederholte sich immer wieder bei Männern und Frauen.
    Vinicius schenkte diesen Worten wenig Aufmerksamkeit; ihn beschäftigte vielmehr der Gedanke, eine der dunklen Gestalten könne Lygia sein. Die ihm Begegnenden sagten: „Friede sei mit dir!“ oder „Ehre sei Christus!“ Unruhe ergriff ihn jedoch, und sein Herz begann heftiger zu schlagen, als es ihm schien, er höre Lygias Stimme. Jeden Augenblick glaubte er, in der Dunkelheit ihre Gestalt zu sehen, so daß er, nachdem er seinen Irrtum erkannt, den eigenen Augen mißtraute. Der Weg schien ihm lang. Obwohl er die Umgebung genau kannte, konnte er doch im Finstern den Ort nicht angeben, an dem er sich befand. Immer wieder stießen sie an Verengungen, Mauerreste oder verfallene Hütten, wie er sie in der nächsten Umgebung der Stadt nie gesehen zu haben meinte. Endlich trat die Mondsichel aus einer dichten Wolkenmasse hervor und beleuchtete die Stätte besser als die trüben Laternen. Aus der Ferne begann etwas wie Feuer oder das Licht einer Fackel zu glänzen. Vinicius wandte sich zu Chilon.
    „Ist dies das Ostrianum?“ fragte er.
    Chilon, auf den die Nacht, die zunehmende Entfernung von der Stadt, die ihn umgebenden geisterhaften Gestalten tiefen Eindruck machten, erwiderte mit unsicherer Stimme:
    „Ich weiß es nicht, Herr, ich war nie im Ostrianum. Aber sie könnten ihren Gott doch auch näher bei der Stadt verehren.“
    Weil er das Bedürfnis nach Unterhaltung und Hebung seines gesunkenen Mutes fühlte, fuhr er nach einer kleinen Weile fort:
    „Sie kommen zusammen wie Mörder. Aber es ist ihnen nicht erlaubt zu töten; es müßte mich denn jener Lygier schamlos belogen haben.“
    Vinicius, dessen Gedanken bei Lygia weilten, war ebenfalls betroffen von der Vorsicht und der geheimnisvollen Art, in der sich diese Religionsgenossen versammelten, um ihren höchsten Priester zu hören; darum sagte er:
    „Wie alle Religionen, so hat auch diese ihre Anhänger mitten unter uns. Die Christen sind eine jüdische Sekte. Warum versammeln sie sich hier, da doch jenseits des Tibers Anbetungsstätten sind, in denen die Juden bei hellem Tage ihre Opfer darbringen?“
    „Die Juden, Herr, sind ihre bittersten Feinde. Ich habe gehört, daß es vor dem Regierungsantritt des gegenwärtigen Cäsars fast zu einem Krieg zwischen ihnen und den Christen gekommen wäre. Die Unruhen zwangen Claudius Cäsar, alle Juden auszuweisen; aber dieses Edikt ist jetzt außer Kraft gesetzt. Die Christen verbergen sich nun vor den Juden und dem Volk, das sie, wie du weißt, aller Verbrechen beschuldigt und haßt.“
    Sie gingen jetzt schweigend, bis Chilon, dessen Angst mit der Entfernung von den Toren wuchs, wieder anhob:
    „Als ich aus dem Laden des Euricius kam, borgte ich bei einem Barbier eine Perücke; ich habe auch zwei Bohnen in die Nasenlöcher gesteckt. Sie werden mich nicht erkennen, wenigstens nicht töten, wenn es geschieht. Sie sind nicht übelwollend, im Gegenteil, sehr redlich. Ich achte und liebe sie.“
    „Lobe sie nicht zu früh“, erwiderte Vinicius.
    Sie gingen jetzt durch eine enge, auf den Seiten von Gräbern abgeschlossene Senkung, über die sich ein Aquädukt zog. Der Mond schien, und sie sahen ein Stück mit dichtem Efeu bedeckter Mauer in silbernem Glanze. Das war das Ostrianum.
    Das Herz des Vinicius schlug lebhafter. Am Tore nahmen ihnen zwei Steinbrecher das Losungswort ab. Einen Augenblick später befanden sich Vinicius und seine Gefährten auf einem ziemlich geräumigen, rings von Mauern umgebenen Platz. Dort erhoben sich einzelne Grabmäler, von der Mitte aus führte der Weg zum Hypogäum oder der Krypta. In ihrem tiefer gelegenen Teile, unter der Erde, waren Gräber; vor dem Eingang plätscherte ein Brunnen. Offenbar konnte eine beträchtliche Menge hier nicht Platz finden. Daraus schloß Vinicius, daß die Feierlichkeit außerhalb der Krypta in dem bald mit Menschen gefüllten Raume stattfinden werde.
    Soweit das Auge reichte, glänzte Laterne an Laterne, und doch erschienen viele von den Kommenden ohne Licht. Mit Ausnahme einiger waren alle Köpfe bedeckt, aus Furcht vor Verrat oder wegen der Kälte. Der junge Patrizier wurde unruhig, weil er fürchtete, er werde unter dieser Menge und bei so trübem Lichte Lygia nicht erkennen.
    Aber auf einmal wurden nahe der Krypta Pechfackeln angezündet und auf Pfähle

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