Quo Vadis
ein wahnsinniger Tanz vor, wie eine Orgie, die sich dem Ende näherte. Petronius erkannte jetzt, daß die Christen allein eine neue Grundlage des Lebens besäßen, glaubte aber, sie würden in kürzester Zeit spurlos verschwunden sein. Und was dann?
Der wilde Tanz würde sich unter Nero fortsetzen, und wäre der tot, so würde sich ein anderer ebenso verruchter oder noch ärgerer Cäsar finden; denn solch ein Volk und solche Patrizier besäßen nicht die Fähigkeit, einen besseren Herrn zu ertragen. Es würde zu neuen und noch niedrigeren und schändlicheren Orgien kommen. Aber auch dies könne nicht ewig dauern, und nach deren Beendigung müsse – schon aus dem einfachen Grunde der Erschöpfung – das Bedürfnis nach Ruhe eintreten.
Solche Gedanken erweckten in Petronius das Gefühl des Überdrusses. Lohnte es, in Unsicherheit und zu keinem anderen Zwecke zu leben, als um eine solche Gesellschaft zu schauen? Der Genius des Todes ist nicht weniger schön als der des Schlafes, und auch er hat Schwingen, sagte sich Petronius.
Die Sänfte hielt jetzt vor seinem Tor, das sein wachsamer Hausmeister geöffnet hatte.
„Ist Vinicius zurück?“ fragte Petronius.
„Ja, Herr, soeben“, antwortete der Sklave.
„Er hat sie nicht befreit“, dachte Petronius. Und seine Toga abwerfend, eilte er ins Atrium. Vinicius saß auf einem Schemel, den fast bis zu den Knien gesenkten Kopf in den Händen haltend. Beim Schall von Schritten hob er das erstarrte Antlitz; die Augen allein hatten eine freilich fieberische Schönheit bewahrt.
„Du kamst zu spät?“ fragte Petronius.
„Ja, sie ergriffen sie noch vor der Mittagsstunde.“
Eine Stille trat ein.
„Hast du sie gesehen?“
„Ja!“
„Wo ist sie?“
„Im Mamertinischen Gefängnis.“
Petronius erzitterte und sah mit forschendem Blick Vinicius an. Dieser verstand ihn.
„Nein“, sagte er, „sie wurde nicht ins Tullianum hinabgeworfen, selbst nicht ins mittlere Gefängnis. Ich bestach die Wachen, damit sie ihr einen eigenen Raum gäben. Ursus nahm seinen Platz vor ihrer Türschwelle und bewacht sie.“
„Warum verteidigte Ursus sie nicht?“
„Weil fünfzig Prätorianer gekommen waren und Linus es ihm verbot.“
„Aber Linus?“
„Linus liegt im Sterben, darum nahmen sie ihn nicht mit.“
„Was gedenkst du zu tun?“
„Sie zu retten oder mit ihr zu sterben. Auch ich glaube an Christus.“
Vinicius sprach mit scheinbarer Ruhe, doch lag in seiner Stimme eine solche Verzweiflung, daß das Herz des Petronius von Mitleid erfaßt wurde.
„Ich verstehe dich“, sagte er. „Doch wie willst du sie retten?“
„Ich beschenkte die Wachen reichlich, damit sie Lygia vor der Wut des Pöbels schützen und ihre Flucht nicht hindern sollten.“
„Wann könnte die stattfinden?“
„Die Antwort der Wachen lautete, daß sie mir Lygia nicht sofort übergeben könnten, denn sie würden dann zur Verantwortung gezogen werden. Wenn aber das Gefängnis einmal gefüllt und eine genaue Kontrolle nicht mehr gehandhabt werden könnte, würden sie Lygia befreien. Aber es ist eine verzweifelte Sache! Rette du sie früher, Petronius, sie und mich! Du bist ein Freund des Cäsars. Er gab sie mir. Geh und rette mich!“
Statt zu antworten, rief Petronius einen Sklaven, befahl, zwei dunkle Mäntel und zwei Schwerter zu bringen, und wandte sich dann zu Vinicius:
„Unterwegs will ich dir Erklärungen geben“, sagte er. „Inzwischen nimm Mantel und Waffe; wir gehen zum Gefängnis. Gib dort den Wachen hunderttausend Sesterze, gib ihnen das Doppelte, das Fünffache, wenn sie Lygia befreien. Es wird sonst zu spät sein.“
„Gehen wir“, sagte Vinicius.
Bald gingen sie auf der Straße.
„Jetzt höre mich“, sagte Petronius. „Ich wollte keine Zeit verlieren. Seit heute bin ich in Ungnade, mein eigenes Leben hängt an einem Haar; darum kann ich beim Cäsar nichts tun. Und was noch schlimmer ist als dies, ich bin sicher, daß ich mit meiner Bitte gerade das Gegenteil erreichen würde. Warum hätte ich dir sonst geraten, mit Lygia zu fliehen oder sie zu befreien? Entkommst du, so wird sich zwar des Cäsars Zorn über mich entladen. Heute würde er eher auf deine als auf meine Bitten eingehen. Rechne jedoch nicht damit! Suche sie aus dem Gefängnis zu retten und fliehe. Es bleibt nichts anderes übrig. Gelingt es nicht, so ist noch Zeit, andere Wege zu versuchen. Wisse aber, daß Lygia nicht bloß wegen ihres Glaubens an Christus im Gefängnis liegt, es ist Poppäas Zorn,
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