Quo Vadis
der sie verfolgt und dich. Du hast die Augusta durch deine Zurückweisung beleidigt. Erinnerst du dich? Sie weiß, daß sie verschmäht wurde um Lygias willen, die sie schon seit der ersten Begegnung haßt. Schon früher wollte sie Lygia verderben, indem sie den Tod der kleinen Augusta Lygias Zauberei zuzuschreiben suchte. Die Hand Poppäas ist im Spiele. Wie ließe sich’s sonst erklären, daß Lygia zuerst eingekerkert wurde? Wer konnte das Haus des Linus so genau angeben? Ich sage dir, daß sie all die Zeit Lygia nicht aus dem Auge gelassen hat. Wohl weiß ich, daß ich dein Herz martere und dir den letzten Rest der Hoffnung raube, aber ich tue es absichtlich; du mußt einsehen, daß ihr beide verloren seid, wenn du sie nicht befreist, ehe der Cäsar und Poppäa auf den Verdacht kommen, du könntest sie entführen wollen.“
„Ich verstehe dich“, murmelte Vinicius.
Bei der vorgerückten Stunde waren die Straßen menschenleer. Dennoch wurde ihr Gespräch durch einen betrunkenen Gladiator abgeschnitten, der auf sie zukam. Er taumelte gegen Petronius, legte eine Hand auf dessen Schulter, hauchte ihm seinen Weinatem ins Gesicht und brüllte mit heiserer Stimme:
„Die Christen vor die Löwen!“
„Mirmillon“, antwortete Petronius ruhig, „höre guten Rat! Geh deines Weges!“
Der Betrunkene aber faßte ihn mit der anderen Hand am Arme:
„Rufe es, oder ich breche dir das Genick: ‚Die Christen vor die Löwen!‘ “
Die Nerven des Arbiter elegantiarum hatten schon zu viel unter diesem Rufe gelitten. Seitdem er den Palatin verlassen, drückte er ihn wie ein Alp und zerriß ihm die Ohren. Als er nun die Faust des Riesen über sich fühlte, war seine Geduld erschöpft.
„Freund“, sagte er, „du riechst nach Wein und vertrittst mir den Weg.“
Dabei stieß er sein kurzes, von Hause mitgenommenes Schwert bis an den Griff in des Mannes Brust, nahm dann des Vinicius Arm und ging weiter, als ob nichts vorgefallen wäre.
„Der Cäsar sprach heute: ‚Sage Vinicius, er solle die Spiele nicht versäumen, in denen die Christen auftreten werden.‘ Errätst du, was das heißen soll? Sie wollen deinen Schmerz als Schauspiel. Es ist eine abgemachte Sache. Vielleicht sind wir beide nur darum noch nicht eingekerkert. Wenn du Lygia nicht sofort zu befreien vermagst, ich weiß dann keine Hilfe. Acte würde sich wohl auf deine Seite stellen; aber kann sie etwas bewirken? Deine sizilianischen Güter mögen Tigellinus wahrscheinlich auch reizen. Mach den Versuch!“
„Ich will ihm alles geben, was ich habe“, antwortete Vinicius.
Von den Carinae zum Forum war es nicht weit; sie kamen bald dort an. Die Dunkelheit begann zu weichen, die Mauern hoben sich schon deutlich aus dem Schatten.
Als sie sich zum Mamertinischen Gefängnis wandten, hielt Petronius plötzlich an und sagte:
„Prätorianer! Es ist zu spät!“
Wirklich war das Gefängnis von einer doppelten Reihe Soldaten umschlossen. Die Morgendämmerung versilberte ihre Helme und die Spitzen ihrer Wurfspieße.
Vinicius wurde weiß wie Marmor.
„Gehen wir hin!“ sagte er.
Bald hielten sie vor den Soldaten. Petronius, der ein ungewöhnliches Gedächtnis besaß, kannte nicht nur die Offiziere, sondern auch fast alle einfachen Soldaten. Bald entdeckte er einen Bekannten, den Führer einer Kohorte, und winkte ihn zu sich heran.
„Aber was ist denn dies, Niger?“ fragte er. „Habt ihr Befehl, das Gefängnis zu bewachen?“
„Ja, edler Petronius, der Präfekt fürchtet, man könnte sonst versuchen, die Brandstifter zu befreien.“
„Habt ihr Befehl, niemand Einlaß zu gewähren?“ forschte Vinicius.
„Nein. Die Bekannten dürfen die Gefangenen besuchen, und auf diese Weise bekommen wir noch mehr Christen.“
„Dann laß mich hinein“, sagte Vinicius, und die Hand des Petronius drückend, bat er: „Geh zu Acte, ich werde kommen, um ihre Antwort zu vernehmen.“
„Komm!“ versetzte Petronius.
In demselben Augenblick ertönte Gesang aus den unterirdischen Räumen sowie von jenseits der Gefängnismauern. Eine Hymne, erst leise und unverständlich, erklang immer stärker, Männer-, Frauen- und Kinderstimmen bildeten einen harmonischen Chor; das ganze Gefängnis begann in der Stille des Morgens zu erklingen wie eine Harfe. Es waren jedoch nicht Töne der Sorge oder Verzweiflung; sie hörten sich im Gegenteil an wie Freude oder Triumph.
Erstaunt sahen die Soldaten drein. Der erste rosige und goldene Glanz zeigte sich eben am Himmel.
LII
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