Quo Vadis
ihnen genommen werde?“
Dann eine vierte:
„Linus wurde erst geschont, jetzt haben sie ihn geholt und gemartert, Herr!“
Nun eine fünfte:
„Sobald wir nach unseren Häusern zurückkehren, werden uns Prätorianer ergreifen; wir wissen nicht, wo wir uns bergen sollen.“
„Weh uns! Wer wird uns beschützen?“
Und so hörte man in der Stille der Nacht Klage um Klage. Der greise Fischer schloß die Augen und schüttelte das weiße Haupt ob all dem Kummer und dem menschlichen Schmerz. Neues Schweigen trat ein. Die Wächter gaben nun leise Zeichen nach dem Schuppen hin. Vinicius sprang wieder auf, als wolle er sich durch die Menge zum Apostel drängen und Rettung erflehen. Plötzlich jedoch sah er sich vor einem Abgrund, der ihn erbeben machte. Wie, wenn der Apostel seine eigene Schwäche bekennen müßte, bestätigen, daß der römische Cäsar stärker sei als Christus, der Nazarener? Bei diesem Gedanken entsetzte sich Vinicius, denn er fühlte, daß dann nicht nur seine letzte Hoffnung in diesen Abgrund sinke, sondern mit ihr er selber und alles, was seinem Leben Halt verliehen, und daß nur Nacht und Tod ihm bleiben würden; und dieser Abgrund schien ihm unermeßlich tief wie das Meer.
Petrus begann nun zu reden, anfänglich mit kaum vernehmbarer Stimme:
„Meine Kinder! Auf Golgatha sah ich sie Gott ans Kreuz nageln. Ich hörte die Hammerschläge und sah, wie das Kreuz aufgerichtet wurde, damit das Volk das Schauspiel seines Todes genießen könne. Ich sah ihn sterben, und ich sah sie seine Seite öffnen. Als ich von der Kreuzigung heimkehrte, rief ich im Schmerz, wie ihr ruft: ‚Wehe, wehe! O Herr, du bist Gott? Warum hast du solches zugelassen? Warum bist du gestorben, und warum hast du die Herzen derer betrübt, die da glaubten, daß dein Reich komme?‘ Aber er, unser Herr und Gott, ist am dritten Tage von den Toten auferstanden; er war bei uns, bis er mit großer Herrlichkeit in sein Reich einging. Und wir, die wir unsere Kleingläubigkeit einsahen, wurden stark im Geiste und säen seit jener Zeit seinen Samen.“
Dann wandte er sich nach jener Seite, von der die erste Klage gekommen war, und sprach mit stärkerer Stimme: „Warum beklagt ihr euch? Gott gab sich selber der Marter und dem Tode hin, und ihr wollt nun, daß er euch davor bewahre? Ihr Kleingläubigen, habt ihr so seine Lehre aufgenommen? Hat er euch denn nicht mehr als das irdische Leben versprochen? Er kommt zu euch und spricht: ‚Folget mir nach!‘ Er hebt euch zu sich, und ihr klammert euch mit den Händen an diese Erde und ruft: ‚Herr, rette uns!‘ Vor Gott bin ich Staub, aber vor euch sein Apostel und Statthalter. Ich spreche zu euch im Namen Christi. Nicht Tod wartet auf euch, sondern das Leben, nicht Qual, sondern endlose Wonne, nicht Seufzen und Klagen, sondern froher Gesang, nicht Dienstbarkeit, sondern ein Königreich. Ich, der Apostel des Herrn, sage euch: O Witwe, dein Sohn wird nicht sterben; er wird zur Herrlichkeit, zum ewigen Leben geboren, du wirst wieder mit ihm vereinigt werden! Dir, o Vater, dessen unschuldige Tochter von den Häschern geschändet wurde, verspreche ich, daß du sie weißer als die Lilien des Hebron finden wirst! Euch, ihr Mütter, die sie von den Waisen reißen, euch, die ihr die Väter verliert, euch, die ihr euch beklagt, weil ihr den Tod geliebter Personen sehen müßt, euch, den Sorgenden, Unglücklichen, Furchtsamen, euch, die ihr sterben müßt, erkläre ich im Namen Christi, daß ihr aus dem Schlafe zu einem glücklichen Leben erwachen werdet, aus der Nacht zum Lichte Gottes. Laßt im Namen Christi die Binde von euren Augen fallen und eure Herzen sich erleuchten!“
Nach diesen Worten erhob er wie gebietend seine Hand, und sie fühlten neues Blut in ihren Adern, ein Beben lief durch ihre Körper, denn vor ihnen stand nicht ein schwacher, sorgenbeladener Greis, sondern ein gewaltiger Fürst, der ihre Seelen hinriß und aus Erdenstaub und Schrecken hob.
„Amen!“ rief eine große Stimmenzahl.
Aus des Apostels Auge strahlte ein immer helleres Licht, Macht ging von ihm aus, Majestät und Heiligkeit. Die Häupter beugten sich vor ihm, und als das „Amen!“ verklungen war, fuhr er fort:
„Ihr säet Tränen, um in Freuden zu ernten. Warum fürchtet ihr die Macht des Bösen? Erhaben über Rom, über die Mauern der Städte, die ganze Erde ist der Herr, der seine Wohnung bei euch genommen hat. Die Steine werden mit Tränen benetzt, der Sand wird von Blut befeuchtet, die Täler werden mit
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