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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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zunächst Knienden, die anderen legten sich nieder, kratzten sich die Seiten und gähnten.
    Trunken von Blutgier, begann das Volk zu schreien:
    „Die Löwen! Die Löwen! Laßt die Löwen heraus!“
    Die Löwen waren für den nächsten Tag bestimmt, allein im Amphitheater setzte das Volk seinen Willen durch, bei jedem, selbst beim Cäsar. Nur der übermütige und launische Caligula hatte es gewagt, diesem Willen entgegenzutreten, er hatte sogar zuweilen das Volk mit Knütteln schlagen lassen; doch selbst er gab meistens nach. Nero, dem Beifall über alles ging, widersetzte sich nie, am wenigsten jetzt, wo es sich darum handelte, das über den Brand erzürnte Volk zu beschwichtigen und die Schuld des Unglücks auf die Christen zu werfen.
    Er gab also ein Zeichen, das Cuniculum zu öffnen, worauf der Aufruhr sich augenblicklich legte. Die Tore, hinter denen die Wüstenkönige gefangen waren, knarrten in den Angeln. Beim Anblick der Löwen zogen sich die Hunde unter heiserem Winseln nach dem entgegengesetzten Ende der Arena zurück. Ein Löwe nach dem anderen verließ das Cuniculum, majestätisch die gewaltige Mähne tragend. Der Cäsar wandte kein Auge von ihnen und blickte gespannt durch seinen Smaragd, um das Schauspiel besser zu genießen. Die Augustianer begrüßten jubelnd die Bestien, das Volk zählte sie an den Fingern und harrte des Eindrucks, den der Anblick dieser neuen Feinde auf die Christen machen würde, die, in der Mitte kniend, die gleichen, den Zuschauern unbegreiflichen Worte wiederholten: „Pro Christo! Pro Christo!“
    Doch die Löwen, obwohl sie hungrig waren, machten sich nicht sogleich an ihre Opfer. Das rötliche Licht der Arena blendete ihre halbgeschlossenen Augen. Einige dehnten den gelben Leib, andere gähnten, so daß man zu glauben versucht war, sie wollten erst den Zuschauern ihr furchtbares Gebiß zeigen. Nach und nach begann jedoch der Geruch des Blutes und der zerfleischten Körper seine Wirkung auszuüben. Ihre Mähnen sträubten sich, gierig atmeten sie den Blutgeruch ein. Einer stürzte auf eine zerrissene Frau los und leckte deren Blut; ein anderer sprang auf einen Mann zu, der in den Armen ein Kind trug. Das Kind umschlang schreiend den Hals des Vaters. Er, um des Kindes Leben, wenn auch nur für einen Augenblick, zu verlängern, bemühte sich, die dünnen Ärmchen von seinem Halse zu lösen und das Kind den entfernter Knienden hinzureichen. Doch das Geschrei reizte den Löwen; er ließ ein kurzes Gebrüll hören und tötete das Kind mit einem Schlage seiner Tatze. Darauf faßte er mit dem Rachen den Kopf des Vaters und zermalmte ihn augenblicklich.
    Nun begannen auch die übrigen Löwen ihr Werk. Einige Frauen schrien laut auf, doch ihre Stimmen wurden übertönt vom Beifall der Menge, der aber nicht lange andauerte, da keiner den geringsten Teil des Schauspiels verlieren wollte. Der Anblick war grauenvoll. Köpfe verschwanden bis an den Hals in offenen Rachen, Leiber wurden mit einem Tatzenschlage aufgerissen, Lungen und Herzen fielen in den Sand, Knochen krachten zwischen den Zähnen der Bestien. Einige faßten ihre Beute bei den Rippen oder den Lenden und sprangen damit hinweg, als ob sie einen Winkel aufsuchen wollten, um sie ungestört zu verschlingen. Andere stellten sich auf die Hinterbeine und kämpften miteinander, indes ihr Wutgebrüll den Zirkus durchdonnerte. Man erhob sich von den Sitzen. Viele gingen weiter hinab, um besser zu sehen. Das Gedränge wurde beängstigend. Man konnte meinen, die erregten Zuschauer würden schließlich selber noch in die Arena hinabsteigen und gemeinsam mit den Löwen die Christen zerreißen. Ein wildes Durcheinander von Jubelrufen, von Gebrüll und knirschenden Zähnen, von heulenden Molosserhunden und aufstöhnenden Opfern.
    Der Cäsar, den Smaragd vor sich hinhaltend, blickte gespannt in die Arena. In Petronius’ Antlitz spiegelten sich Verachtung und Ekel. Chilon hatte man hinausgetragen.
    Und wieder neue Opfer wurden aus dem Cuniculum herausgetrieben.
    Hoch oben im Amphitheater stand der Apostel Petrus. Niemand beachtete ihn, jeder hatte nur für das Schauspiel Augen. Gleichwie er damals im Weinberg des Cornelius denjenigen, die eingekerkert werden sollten, seinen Segen zum Tode in die Ewigkeit mitgegeben hatte, so segnete er jetzt mit dem Kreuzeszeichen diese, die dort unten den Martertod erlitten. Er segnete ihr Blut, ihre Qualen, ihre toten, unförmigen Körper, ihre der Erde entfliehenden Seelen. Viele blickten zu ihm hinauf

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