Quo Vadis
entledigen.“
Er rief Seneca und befahl ihm, mit Acratus und Secundus Carinus nach Italien und in alle übrigen Provinzen zu gehen und Geld einzuziehen, von Städten, Dörfern, berühmten Tempeln – mit einem Worte, von jedem Ort, wo solches gefunden, und von jedermann, dem es erpreßt werden könnte. Seneca, der sich mit einem Werke des Plünderns, der Tempelschändung und des Raubes betraut sah, weigerte sich geradezu.
„Ich muß mich auf das Land begeben, Herr, und den Tod erwarten“, sagte er, „denn ich bin alt, und meine Nerven sind krank.“
Senecas iberische Nerven waren wohl stärker als die Chilons, sie waren vielleicht überhaupt nicht krank, doch stand es im allgemeinen schlimm um seine Gesundheit; er glich einem Schatten, und sein Haar hatte sich gebleicht.
Auch Nero glaubte, als er ihn ansah, daß sein Tod nicht mehr fern sei, und sagte:
„Wenn du krank bist, will ich dich den Gefahren einer Reise nicht aussetzen; aber meine Liebe wünscht, dich in meiner Nähe zu haben. Bleibe darum in deinem Hause, statt auf das Land zu gehen, und verlasse es nicht!“
Und lachend fuhr er fort:
„Wenn ich Acratus und Carinus allein die Arbeit überlasse, so sende ich Wölfe unter die Schafe. Wen soll ich über sie setzen?“
„Mich, Herr“, sagte Domitius Afer.
„Nein, ich will nicht Merkurs Zorn auf Rom herabziehen. Ich brauche einen Stoiker, wie Seneca einer ist oder auch mein neuer Freund, der Philosoph Chilon.“
Dann blickte er umher und fragte:
„Aber was ist Chilon begegnet?“
Chilon, der sich in der frischen Luft erholt und zu Neros Gesang in das Amphitheater zurückgekehrt war, fuhr empor und sagte:
„Hier bin ich, o glänzender Ursprung der Sonne und des Mondes, ich war krank, doch dein Gesang hat mich wiederhergestellt.“
„Ich werde dich nach Achaia senden, du mußt auf den Heller wissen, wieviel Schätze in jedem Tempel sind.“
„Tue das, o Zeus, und die Götter werden dir mehr Steuern geben als je einem zuvor.“
„Ich würde es tun, aber ich möchte dir den Anblick der Spiele nicht entziehen.“
Die Augustianer merkten, daß Neros Laune besser wurde; sie begannen zu lachen und riefen:
„Nein, Herr, beraube den tapferen Griechen nicht des Anblicks der Spiele.“
„Bewahre mich doch, Herr, vor diesen schnatternden Gänsen des Kapitols, deren Gehirn zusammen nicht eine Nußschale füllt“, erwiderte Chilon. „O Erstgeborener des Apollon! Ich schreibe eben zu deiner Ehre eine griechische Hymne und wünsche, einige Tage im Tempel der Musen zuzubringen, um Erleuchtung zu erflehen.“
„Nein“, rief Nero aus, „du willst dich nur von den anberaumten Spielen drücken! Das gibt es nicht.“
„Ich schwöre dir, Herr, daß ich eine Hymne schreibe.“
„Dann wirst du sie des Nachts schreiben. Bitte Diana, Apollons Schwester, um Erleuchtung.“
Chilon senkte das Haupt und blickte grollend nach den Anwesenden, die von neuem zu lachen begannen. Der Cäsar wandte sich zu Senecio und Suilius Nerulinus und sprach:
„Denkt euch! Mit den für den heutigen Tag bestimmten Christen sind wir kaum zur Hälfte fertig geworden.“
Der alte Aquilinus Regulus, der von allem, was sich auf das Amphitheater bezog, genaue Kenntnis hatte, sagte nach einigem Nachdenken:
„Schauspiele, wobei die Leute sine armis et sine arte erscheinen, dauern fast zu lange und sind weniger unterhaltend.“
„Ich werde befehlen, ihnen Waffen zu geben“, antwortete Nero.
Plötzlich erwachte der abergläubische Vestinius aus seiner Betrachtung und fragte mit geheimnisvoller Stimme:
„Habt ihr nicht bemerkt, daß sie vor dem Tode aufwärts blickten, als ob sie dort etwas sähen, und dann wie ohne Schmerz ihr Leben ließen? Ich bin gewiß, daß sie etwas sahen.“
Er erhob seine Augen zur Öffnung des Amphitheaters, über dem bereits die Nacht ihr sternbesätes Velarium auszubreiten begann.
Die Anwesenden antworteten ihm mit Gelächter und scherzenden Vermutungen über das, was die Christen im Augenblick des Todes gesehen haben mochten. Indes gab Nero seinen Fackelträgern ein Zeichen und verließ den Zirkus, die Vestalinnen, Senatoren, Priester und Höflinge folgten ihm.
Die Nacht war hell und warm. Vor dem Zirkus drängte sich das Volk, welches die Rückkehr des Cäsars abwarten wollte; aber es war mißvergnügt, schweigend. Hie und da hörte man Beifallsrufe, doch bald verstummten sie wieder. Vom Spoliarium führten knarrende Karren die blutigen Überreste der Christen weg.
Petronius und
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